15.05.2023 08:52 Alter: 346 days
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Frederike Helmert

Ablaufhemmung bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben

Der BFH hat sich in seinem *Urteil vom 21.06.2022 (Akz.: VIII R 26/19)* mit der Frage beschäftigt, wie die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO bei der Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben zu bewerten ist.

Diese Vorschrift besagt, dass in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 die Festsetzungsfrist nicht endet, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. In dem konkreten Fall erklärte der Erblasser Kapitalerträge aus einer liechtensteinischen Stiftung nicht in seiner Einkommensteuererklärung und verkürzte dadurch bewusst die Einkommensteuer für die Streitjahre um jeweils sechsstellige Beträge. Die Erbinnen, Töchter des Erblassers und zunächst dessen Ehefrau, die im Laufe des Revisionsverfahrens verstarb und ebenfalls zur Erblasserin wurde, hatten davon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod reichten die Erbinnen eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechtensteinischen Kapitalerträge nacherklärten. Die Selbstanzeige umfasste die Einkommensteuerveranlagung ab 2022, für die Streitjahre erklärten die Erbinnen nicht nach.

Das Finanzamt erließ darauf gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und zur Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 01.01.1996. Die Steuerbescheide richteten sich an die Erblasserin in Form der Ehefrau und an die Töchter als Gesamtrechtsnachfolge des Erblassers. Das Finanzamt ging dabei davon aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre aufgrund der Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO noch nicht abgelaufen sei, weshalb die Änderungsbescheide ergingen.

Dagegen erhoben die Klägerinnen Klage beim Finanzgericht. Sie waren der Ansicht, dass § 171 Abs. 7 AO nicht greife und die Änderungsbescheide daher zu Unrecht ergangen seien. Das Finanzgericht München wies die Klage ab und urteilte, die Änderungsbescheide seien rechtmäßig, da der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt gewesen sei. Durch die Nichterfüllung ihrer Pflicht zur Erklärungsberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO hätten die Klägerinnen ihrerseits die Einkommensteuer der Streitjahre hinterzogen.

Gegen diese Entscheidung wandten sich die Klägerinnen in dem Revisionsverfahren. Sie rügten die Verletzung von Bundesrecht. § 171 Abs. 7 AO sei von dem Finanzgericht unzutreffend ausgelegt worden. Ihrer Ansicht nach sei die aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfristen zwar bei dessen Versterben noch nicht abgelaufen gewesen, für sämtliche Streitjahre habe die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auch gegenüber den Klägerinnen gegolten. Der jeweilige Fristablauf sei aber nicht nach § 171 Abs. 7 AO über das Ende dieser Festsetzungsfrist hinaus gehemmt worden. § 171 Abs. 7 AO erfasse allein die Steuerstraftat des Erblassers als des originären Steuerpflichtigen und könne nur zu einer Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung dieser Tat führen. Die Ablaufhemmung sei nicht auf die Steuerverkürzung der Klägerinnen anzuwenden. Zudem sei die Steuerhinterziehung der Klägerinnen durch Unterlassen insoweit bis zum Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist noch nicht vollendet gewesen, da das Finanzamt selbst bei einer unverzüglichen Anzeige und Berichtigung der Einkommensteuererklärung des Erblassers für das Jahr 1995 bis zum Jahresende 2007 keinen Änderungsbescheid für dieses Streitjahr mehr hätte erlassen können.

Der BFH urteilte, dass das Finanzgericht zu Recht entschieden hat, dass die Erblasserinnen die Einkommensteuer für die Streitjahre schulden und somit die Voraussetzungen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Korrektur der Einkommensteuerbescheide vorliegen und den Bescheiden aufgrund der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegenstand.

Er begründete diese Entscheidung damit, dass gemäß § 171 Abs. 7 AO die Festsetzungsfrist nicht abläuft, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann. Dies sah der BFH im streitgegenständlichen Fall als gegeben an, da die Verfolgung der Steuerstraftaten der Klägerinnen noch nicht verjährt war. Die Klägerinnen haben in den Streitjahren jeweils eigene Steuerhinterziehungen durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen, deren Verfolgung zu dem Zeitpunkt der Änderungsbescheide noch nicht verjährt war. Zu diesem Ergebnis kam der BFH nach einer detaillierten Auslegung der Vorschrift des § 171 Abs. 7 AO.

Die Klägerinnen waren nach § 153 Abs. 1 AO zur Anzeige und Berichtigung der Einkommensteuererklärungen der Erblasser für die Streitjahre verpflichtet. Aufgrund ihres bereits vor dem Tod des Erblassers erlangten Wissens erkannten die Klägerinnen unmittelbar nach dem Erbfall und damit noch vor dem jeweiligen Ablauf der auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist, dass die von den Erblassern ursprünglich abgegebenen Einkommensteuererklärungen unvollständig waren und dass es dadurch in den Streitjahren zu Einkommensteuerverkürzungen gekommen war.

Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte.

Fazit

Diese Entscheidung des BFH zum Verfahrensrecht kann weitreichende Folgen haben. Sie birgt nicht nur die "Gefahr" von hohen Nachforderungen, auch kann es bei einer unterbliebenen Anzeige oder Berichtigung zu einer eigenständigen Steuerverkürzung durch Unterlassen kommen. In Erbfällen, bei denen eine Steuerverkürzung des Erblassers vermutet wird oder sogar konkret von einer Steuerverkürzung Kenntnis besteht, sollten Sie sich daher umfassend beraten lassen, in welcher Form und in welchem Umfang eine Selbstanzeige erfolgen sollte. Sprechen Sie uns dazu gerne an.

Weiteres im BFH-Urteil (Urteil vom 21.06.2022 (Akz.: VIII R 26/19))