08.06.2022 10:12 Alter: 2 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinksi

Bundesverfassungsgericht: Einziehung verfassungsrechtlich gerechtfertigt in "Cum-Ex-Verfahren" trotz echter Rückwirkung

Das Bundesverfassungsgericht hat am 07.04.2022 beschlossen, die Verfassungsbeschwerde (BVerfG – 2 BvR 2194/21) gegen die Einziehung von rund 176 Millionen Euro durch die Strafgerichte im Zusammenhang mit sogenannten "Cum-Ex-Geschäften" nicht zur Entscheidung anzunehmen.

Die Beschwerdeführerin ist seit 2007 als herrschendes Unternehmen mit der Bank vertraglich verbunden. Das steuerliche Einkommen der Bank wird der Beschwerdeführerin zugerechnet, sie zahlt die anfallenden Steuern.

Im April 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Geschäftsführer wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen und warf ihnen die Beteiligung an mehreren Cum-Ex-Geschäften vor, die in fünf Fällen Eigengeschäfte der Bank in den Jahren 2007 bis 2011 betrafen. Im März 2020 verurteilte das Landgericht die beiden Angeklagten wegen mehrerer Steuerhinterziehungsdelikte zu Freiheitsstrafen. Gegen die Beschwerdeführerin ordnete es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von etwa 176,5 Millionen Euro an. Die Strafkammer stellte fest, die Bank habe sich in den Jahren 2007 bis 2011 im Wege des Eigenhandels an sogenannten Cum-Ex-Geschäften beteiligt.

Die Beschwerdeführerin sieht in der Einziehung neben Verstößen gegen das Verbot von Ausnahmegerichten, den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Grundsatz der Verfahrensfairness insbesondere durch die rückwirkende Anordnung der Anwendung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB verletzt, die zu einer Vermögensabschöpfung durch die Einziehung führt. Ihre Beschwerde richtet sich mittelbar gegen die Übergangsvorschrift des Art. 316j Nr. 1 EGStGB.

Die §§ 73 ff. StGB regeln die Einziehung von Taterträgen seit 2017 neu. Dabei schließt § 73e Abs. 1 StGB die Einziehung aus, wenn der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat zusteht, bereits erloschen ist. Das gilt nach § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB aber nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind. Durch die Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB gilt § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB aber auch für Taten, die vor dem 29.12.2020 begangen wurden. (Siehe zur Gesetzgeberischen Entwicklung auch unsere Artikel im Infoletter Dezember 2020, Infoletter August 2020 und Infoletter Juli 2020).

Das BVerfG beanstandet die vom Gesetzgeber in § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB getroffene Regelung nicht, die sich für ein Nebeneinander von Einziehungsansprüchen einerseits und Ansprüchen der Geschädigten andererseits entschieden hat. Die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB sei nicht akzessorisch zu etwaigen Geschädigtenansprüchen, sie setzt solche auch nicht voraus. Stattdessen vermeide § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB eine doppelte Inanspruchnahme des Betroffenen, genauso wie die Vorschriften zur Entschädigung der Tatverletzten aus den durch die Strafgerichte eingezogenen Vermögenswerten (§§ 459h StPO ff.).

Die Übergangsregelung des Art. 316j Nr. 1 EGStGB verstoße gleichfalls nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen das gerügte Rückwirkungsverbot.
Art. 316j Nr. 1 EGStGB führt zwar zu einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung). Der Gesetzgeber begründete die Einführung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB damit, dass er eine gleichheitswidrige Abschöpfungslücke schließen wolle, die sich für verjährte steuerrechtliche Ansprüche aus § 47 AO ergab. Ausweislich der Gesetzesmaterialien verfolgte er das Ziel, durch Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen.

Die mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB zugleich angeordnete Rückwirkung begründete er damit, dass die Erwartung, deliktisch erlangte Vermögenswerte infolge Zeitablaufs behalten zu dürfen, nicht schutzwürdig sei. So griff er in abgeschlossene Vorgänge nachträglich ändernd ein, aber die angeordnete Rückbewirkung von Rechtsfolgen sei ausnahmsweise zulässig. Eine „echte“ Rückwirkung sei zwar generell verfassungsrechtlich unzulässig. Sie sei aber anerkanntermaßen ausnahmsweise dann möglich, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern. Dann trete der Vertrauensschutz zurück für überragende Belange des Gemeinwohls.

Dieses Ziel betrachtet auch das BVerfG als legitim und überragend wichtig. Das Interesse der Allgemeinheit gehe dem Interesse der Betroffenen, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen, vor.

Die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Straftat obliege als die schärfste dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Form der Missbilligung. Die hier begangene strafbare Handlung der schweren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO verliere ihren Unrechtscharakter nicht dadurch, dass die aus ihr gezogenen steuerlichen Vorteile auf der Grundlage der Abgabenordnung nicht mehr zurückgefordert werden könnten.

Da der deliktische Erwerbsvorgang durch den Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung seitens der staatlich verfassten Gemeinschaft nicht nachträglich gebilligt wird, bleibe auch das auf diese Weise erworbene Vermögen weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist. Letztlich sei nicht schutzwürdig in derartigen Fällen nicht nur der bereicherte Straftäter selbst, sondern auch der Drittbereicherte, soweit dieser nicht gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen hat.

Mit dieser Entscheidung des BVerfG wird abschließend das Urteil des BGH vom 28.07.2021 bestätigt, das bereits die Rückwirkung von Einziehungsentscheidungen auf der Grundlage von § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB, der eben gerade die Einziehung trotz eingetretener Zahlungsverjährung aus steuerlichen Gründen ermöglicht.
Damit zieht sich die Wertung und Motivation aus dem Gesetzgebungsverfahren auch durch die Rechtsprechung als legitim und überragend wichtig durch, dass durch Steuerhinterziehung in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Das Interesse der Allgemeinheit geht dem Interesse der Betroffenen, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen, vor.