12.02.2016 08:21 Alter: 8 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwalt Arne Kiehn, Fachanwalt für Steuerrecht

Doppelbesteuerung - Treaty Override gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verfassungsgemäß

Das Bundesverfassungsgericht hat heute, am 12. Februar 2016, eine seit Langem mit Spannung erwartete Entscheidung mit Bedeutung für Personen veröffentlicht, deren Einkünfte aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von Deutschland nicht besteuert werden dürfen.

Der Bundesfinanzhof hatte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob eine innerstaatliche deutsche Rechtsvorschrift - § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG - einem völkerrechtlichen Vertrag widersprechen darf. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG bewirkt, dass Einkünfte, für die ein anderer Staat gemäß einem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen ihm und Deutschland das Besteuerungsrecht hat, von Deutschland besteuert werden, wenn die Besteuerung oder der Verzicht auf die Besteuerung durch den anderen Staat vom Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen wird. Die Regelung bewirkt also eine Besteuerung in Deutschland, obwohl das Doppelbesteuerungsabkommen dem anderen Staat das Besteuerungsrecht gibt. Ohne diese Regelung sind sog. weiße Einkünfte möglich, d.h. in keinem Staat besteuerte Einkünfte. Zur Vermeidung der Nichtbesteuerung behält sich Deutschland in § 50d Abs. 8 EStG das Recht vor, die Einkünfte zu besteuern.

Der Bundesfinanzhof war der Auffassung, die gesetzliche Regelung könne angesichts neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig sein, weil mit der Steuergesetzgebung die völkerrechtliche Regelung aus dem Doppelbesteuerungsabkommen „überschrieben“ und dadurch völkervertragswidrig gehandelt wird, ohne dass dafür ein hinreichender Rechtfertigungsgrund vorliegt. 

Das Bundesverfassungsgericht hat offengelassen, ob § 50d Abs. 8 EStG tatsächlich das Abkommen überschreibt und vertragswidrig ist. Es hat aber entschieden, dass dies jedenfalls verfassungsrechtlich zulässig wäre.

Daraus folgt:

In Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus Ländern, mit denen Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen hat, müssen die Nachweispflichten des § 50d Abs. 8 EStG nunmehr definitiv beachten, d.h. dem deutschen Finanzamt nachweisen, dass die im anderen Staat zu besteuernden Einkünfte tatsächlich besteuert und die Steuern entrichtet worden sind oder dass dieser Staat auf die Besteuerung verzichtet hat. Schon bisher war zu empfehlen, für einen entsprechenden Nachweis Sorge zu tragen.

In Bezug auf § 50d Abs. 9 EStG und § 50d Abs. 10 EStG sind voraussichtlich ähnliche Entscheidungen zu erwarten (anhängige Verfahren 2 BvL 21/14 und 2 BvL 15/14). Allerdings hat die Richterin König dem Beschluss in der Begründung und im Ergebnis widersprochen. Sie hält § 50d Abs. 8 EStG für eine Abkommensüberschreibung, die vertrags- und verfassungswidrig ist. Auf dieses Sondervotum können sich Steuerpflichtige aber nicht berufen.

 

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 9/2016 vom 12. Februar 2016

Beschluss vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/12/ls20151215