10.09.2021 09:43 Alter: 3 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinski

EuGH- Verfahren um das Vorabersuchen der Staatsanwaltschaft Trient zu einem Europäischen Ermittlungsersuchen der Steuerfahndung aus Münster

Der EuGH sollte in einem Vorabersuchen der Staatsanwaltschaft Trient entscheiden, ob eine Europäische Ermittlungsanordnung zwingend eine gerichtliche Entscheidung sein muss und zwar in dem Sinne, dass sie entweder von einer Justizbehörde erlassen oder von einer Verwaltungsbehörde erlassen und von einer Justizbehörde validiert sein muss.

Das Finanzamt Münster in Gestalt der Steuerfahndung hat der Staatsanwaltschaft Trient (Italien) eine Europäische Ermittlungsanordnung übermittelt, mit der es in einem Ermittlungsverfahren wegen Einkommensteuerhinterziehung um Durchsuchung von Geschäftsräumen ersucht. Das Finanzamt ist der Ansicht, dass es die Europäische Ermittlungsanordnung selbst ausstellen durfte, ohne dass sie durch die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht validiert werden müsste. Nach §§ 386, 399 und 400 AO das Finanzamt in dem Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung die Rechte und Pflichten einer Staatsanwaltschaft wahr, solange kein anderer Strafvorwurf betroffen ist, und handele somit selbst als justizielle Behörde im Sinne der Richtlinie 2014/41 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen. Die Staatsanwaltschaft Trient hat Zweifel, ob ein Mitgliedstaat tatsächlich eine Verwaltungsbehörde wie ein Finanzamt von der Pflicht befreien kann, eine Europäische Ermittlungsanordnung validieren zu lassen, indem er sie selbst als justizielle Behörde im Sinne der Richtlinie einstuft. Sie hat daher den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie ersucht. Da in Italien die Anerkennung Europäischer Ermittlungsanordnungen allein Sache der Staatsanwaltschaft ist, ohne Beteiligung eines Gerichts, sieht sie sich als berechtigt an, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten.

Generalanwalt Sánchez-Bordona hat in seinen Schlussanträgen vom 11.03.2021 die Ansicht vertreten, dass eine von einer Steuerbehörde ausgestellte Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen der Validierung durch ein Gericht oder einen Staatsanwalt bedürfe, nur so entspreche sie den Vorgaben der Richtlinie 2014/41.

Der EuGH hat das Vorabentscheidungsersuchen der Staatsanwaltschaft Trient für unzulässig erklärt, da diese, wenn sie als Vollstreckungsbehörde einer Europäischen Ermittlungsanordnung tätig werde, keinen Rechtsstreit zu entscheiden habe und folglich nicht als eine Rechtsprechungsfunktion ausübend angesehen werden könne nach Art. 267 AEUV und damit kein Recht besitze ein Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vorzulegen.

Die von der Staatsanwaltschaft Trient vorgelegte Frage, die dahin geht, ob ein Finanzamt, das in Bezug auf bestimmte Straftaten die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrnimmt, eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen kann, ohne sie validieren zu lassen, bleibt somit in diesem Fall unbeantwortet.

Aber das Gericht weist aber darauf hin, dass nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41 die Mitgliedstaaten jede Europäische Ermittlungsanordnung nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie vollstrecken. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie erkenne dann die Vollstreckungsbehörde eine Europäische Ermittlungsanordnung ohne jede weitere Formalität an und gewährleiste deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde beschließen, eine Europäische Ermittlungsanordnung nur dann nicht zu vollstrecken, indem sie einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach der Richtlinie geltend mache. Weiter gebe eine Vollstreckungsbehörde, wenn sie eine Europäische Ermittlungsanordnung erhalte, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie erlassen worden ist, die Europäische Ermittlungsanordnung nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41 an den Anordnungsstaat zurück (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C 584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 43 bis 45).

Damit gesteht der EuGH aber eigentlich zu, dass die Europäische Ermittlungsanordnung unter bestimmten Voraussetzungen von der angewiesenen Staatsanwaltschaft zurück gewiesen werden kann. Außerdem ist nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Sanchez Bordona in einem zulässigen Verfahren, die eine gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Validierung der Europäische Ermittlungsanordnung gefordert würde.

EuGH, Urteil vom 02.09.2021, C – 66/20.