25.08.2022 12:51 Alter: 2 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinski

Keine Steuerhinterziehung bei Kenntnis des Finanzamts

Das FG Münster hat entschieden, dass kein objektiver Verkürzungstatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegen kann, wenn zwar pflichtwidrig keine Steuererklärung abgegeben wurde, dem Finanzamt aber alle erforderlichen Informationen in Form elektronischer Lohnbescheinigungen vorliegen.

Dem Urteil vom 24.06.2022 (4 K 135/19 E) liegt der Sachverhalt eines zusammenveranlagten Ehepaares bei dem zunächst nur der Ehemann bis 2008 Arbeitslohn bezog. Das Finanzamt hatte den Fall als Antragsveranlagung gespeichert und dies nicht verändert, als ab 2009 auch die Ehefrau Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit erzielte. Der Lohnsteuerabzug erfolgte bei den Klägern nach den Steuerklassen III und V. Die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen wurden im Datenverarbeitungsprogramm des Finanzamts unter der Steuernummer der Kläger erfasst. Das Finanzamt forderte die Kläger zunächst nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auf und die Kläger gaben auch keine Erklärungen ab.

In 2018 fiel dem Finanzamt auf, dass die Voraussetzungen für die Pflichtveranlagung vorliegen und erließ für 2009 und 2010 Schätzungsbescheide. Hiergegen machten die Kläger geltend, dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei, während das Finanzamt sich auf verlängerte Festsetzungsfrist wegen vollendeter Steuerhinterziehung berief. Die Datenverarbeitungsprogramme der Finanzverwaltung hätten es in den Streitjahren noch nicht ermöglicht, aufgrund der übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen auf das Vorliegen einer Pflichtveranlagung zu schließen. Eine manuelle Überprüfung sei aufgrund der Vielzahl der Fälle tatsächlich unmöglich gewesen. Im Übrigen hätten es die Kläger vorsätzlich unterlassen, Einkommensteuererklärungen abzugeben.

Das FG Münster hat der Klage stattgegeben, weil es bei Erlass der Bescheide im Jahr 2018 für die Streitjahre 2009 und 2010 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen sieht. Die Frist habe sich nicht auf zehn bzw. fünf Jahre verlängert, weil bereits objektiv weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege.

Die Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lasse, sei nicht gegeben, da die Finanzbehörde nur über solche Umstände in Unkenntnis gelassen werden könne, über die sie nicht bereits informiert sei. Diese Auffassung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und sei auch vom Sinn und Zweck des Gesetzes, nämlich der Sicherung des Steueraufkommens, gedeckt. Das Steueraufkommen sei nicht gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesentlichen Umstände informiert sind.

Im Streitfall seien die Kläger zwar verpflichtet gewesen, Einkommensteuererklärungen einzureichen, weil sie Arbeitslohn bezogen haben, der nach den Steuerklassen III und V lohnversteuert wurde. Allein die Verletzung von Erklärungspflichten reiche aber nicht aus, um den objektiven Verkürzungstatbestand zu verwirklichen, denn die Erfüllung von steuerlichen Mitwirkungs- und Erklärungspflichten sei nicht von § 370 AO geschützt.

Besonders Steuerzahler freundlich ist an diesem Urteil, dass das FG Münster, die Grenzen der Mitwirkungspflichten aufzeigt. Nicht funktionierende Datenübermittlung Behörden intern führt nicht zu einer strafbewehrten Mitwirkungs- und Erklärungspflicht des Steuerzahlers nach § 370 AO.

Ähnliche Fälle in denen eine Datenübermittlung bereits an die Finanzbehörden übermittelt wurden, schließen auch die Unkenntnis der Finanzbehörden aus. Gerne unterstützen wir Sie, in dieser Fragestellung.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof (Az. VI R 14/22) zugelassen, da zu der streitigen Frage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege.

Zu dieser Entscheidung finden Sie auch einen interessanten Podcast des Finanzgerichts: PodcaSTeuerrecht.