24.08.2020 14:29 Alter: 4 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwalt Heiko Panke

Steuerhinterziehung bei Ausfuhrlieferung

Der Bundesfinanzhof hat in einem Urteil vom 12.03.2020 – V R 20/19 entschieden, dass das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung nicht dazu führt, dass die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen ist.

Im zu entscheidenden Fall lieferte die Klägerin und Revisionsklägerin im Jahr 2013 Kraftfahrzeuge aus dem Inland in die Türkei an dort ansässige Abnehmer und nahm dabei die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG in Anspruch.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung setzte das Finanzamt die Steuer abweichend fest, da es die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung von 20 Kraftfahrzeugen versagte. Das Finanzamt ging zwar davon aus, dass die Fahrzeuge tatsächlich über eine Spedition in die Türkei geliefert worden seien, die Steuerfreiheit sei aber im Hinblick auf die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) zu versagen, da sich die Klägerin aktiv an einem Betrugsmodell beteiligt habe. Hintergrund war, dass die Klägerin eine „erste“ Rechnung ausgestellt habe, in der alle Angaben zutreffend enthalten waren, sowie eine weitere – unterfakturierte – „zweite“ Rechnung, die sich nur unwesentlich von einer Endrechnung unterscheiden ließ.
    
Das mit der Sache vorbefasste Finanzgericht Köln wies die Klage ab, da durch die Ausstellung zusätzlicher unterfakturierter Rechnungen über Ausfuhrlieferungen von Kraftfahrzeugen in die Türkei, die dem türkischen Zoll bei der Zollabfertigung als Handelsrechnungen vorgelegt werden, die eingeführten Kraftfahrzeuge durch die Verletzung türkischer Steuergesetze auf dem türkischen Markt billiger verkauft werden sollten, sodass in der Türkei eine Hinterziehung von Umsatzsteuer anlässlich des Imports und eine Hinterziehung der türkischen Sonderverbrauchsteuer ÖTV vorliege. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu innergemeinschaftlichen Lieferungen seien die Ausfuhrlieferungen nicht steuerfrei, da die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass die von ihr bewirken Umsätze mit einer Steuerhinterziehung der Erwerber verknüpft waren.

In dem gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln durchgeführten Revisionsverfahren entschied der Bundesfinanzhof aber zu Gunsten der Klägerin.

Zunächst stellte der Bundesfinanzhof klar, dass eine unterfakturierte Zweitrechnung grundsätzlich die Beförderung/Versendung in das Drittlandsgebiet nicht in Frage stelle, denn die materiellen Voraussetzungen der Ausfuhrlieferung und damit die Beförderung oder Versendung des gelieferten Gegenstands in das Drittlandsgebiet, lag unstreitig vor.

Auch der Vorwurf, dass die Klägerin sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt habe, führe nicht zur Versagung der Steuerfreiheit, den der Bundesfinanzhof war der Ansicht, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung bei der Ausfuhr nach Art. 146 Abs. 1 Buchstabe b) MwStSystRL und damit die Verbringung von Gegenständen aus dem Zollgebiet, im Fall des Nachweises des Vorliegens dieser Voraussetzungen, die Mehrwertsteuer für solche Lieferungen nicht geschuldet sei und grundsätzlich keine Gefahr eines Steuerbetrugs oder finanzieller Verlust mehr bestünde, die die Besteuerung des Umsatzes rechtfertigen können. Der Bundesfinanzhof zitierte dazu die Rechtsprechung des EuGH vom 17.10.2019  - Rs. C-653/18 unter Hinweis auf Rd. 35 der Entscheidung.

So führe das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung für eine Ausfuhrlieferung nicht zu einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung, wie sich aus den zwischen den Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und für Ausfuhrlieferungen bestehenden Unterschieden ergebe. Der EuGH wies in der zuvor genannten Entscheidung darauf  hin, dass der Begehungsort einer betrügerischen Handlung in einem Drittstaat nicht ausreiche, um das Vorliegen irgendeines Betruges zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auszuschließen, sodass daraus nicht folge, dass betrügerische Handlungen in einem Drittstaat zum Verlust der Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferung führen würden. Der EuGH fordert nur eine Prüfung, ob sich aus Handlungen in einem Drittstaat eine Schädigung des unionalen Steueraufkommens ergebe. Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn derartige Handlungen darauf abzielen würden, betrügerisch einen Vorsteuerabzug in der Union zu erlangen. Aus der Verkürzung von Einfuhrumsatzsteuer in einem Drittstaat würde hingegen kein Nachteil für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entstehen.

Diese Sichtweise werde durch Art. 325 Abs. 1 AEUV bestätigt, wonach Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen seien, die wirksam und abschreckend sind, wobei die finanziellen Interessen in Union auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer umfassen, dazu aber gerade nicht ersichtlich das Steueraufkommen von Drittstaaten gehöre.

Eine abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der Zollunion mit der Türkei, da die Türkei dadurch nicht zum Teil des Binnenmarktes werde. So stehe es dem Finanzamt frei, den türkischen Behörden auf der Grundlage der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen alle Informationen zu übermitteln, die dort für die Abgabenerhebung erforderlich seien. In der Zollunion bestehe hingegen keine Grundlage dafür, zollrechtliche Verstöße zwingend mit steuerrechtlichen Sanktionen bewehren zu müssen.

Der Bundesfinanzhof weist in seinem Urteil allerdings auch darauf hin, dass vorsätzlich oder leichtfertigt für eine Ausfuhrlieferung unterfakturiert ausgestellte Rechnungen zu einer Steuergefährdung nach § 379 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) führen und entsprechend zu ahnden seien. Über diese Frage, sowie über die zusätzliche Anwendung des § 379 Abs. 1 S. 2 AO hatte der Bundesfinanzhof allerdings nicht zu entscheiden, sodass Ausführungen dazu nicht zu treffen waren.