09.11.2017 11:27 Alter: 6 yrs
Kategorie: Steuern

Vorlage beim EuGH - Führt der Wegzug in die Schweiz dazu, dass die Wertsteigerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft im Inland der sofortigen Besteuerung unterliegt?

Das Finanzgericht Baden-Württemberg legte mit Beschluss vom 14. Juni 2017 (Az. 2 K 2413/15) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH- C-581/17) die folgende Frage zur sofortigen Besteuerung eines Wertzuwachses des Anteils an einer Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt des Wegzugs in die Schweiz vor.

„Sind die Vorschriften des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999, in Kraft getreten am 1. Juni 2002, insbesondere dessen Präambel sowie Art. 1, 2, 4, 6, 7, 16 und 21 und Anhang I Art. 9 dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der, damit kein Besteuerungssubstrat entgeht, latente, noch nicht realisierte Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten (ohne Aufschub) besteuert werden, wenn ein in diesem Staat zunächst unbeschränkt steuerpflichtiger Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats seinen Wohnsitz von diesem Staat in die Schweiz und nicht in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat verlegt, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet?“

Der 2. Senat hält das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz über die Freizügigkeit (FZA) für anwendbar. Das Abkommen enthalte ein Diskriminierungsverbot. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten sei „auf die im FZA normierten Freizügigkeitsrechte im Verhältnis zur Schweiz übertragbar.“ Die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die allgemeine Freizügigkeit stehe „jeder Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung derselben zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“. Die sog. Wegzugsbesteuerung habe für den Kläger, der seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt habe, „zumindest abschreckende Wirkung“. Er habe nach nationalem Recht einen Gewinn im Zeitpunkt des Wegzugs zu versteuern, den er nicht realisiert hat. Die Besteuerung sei zwar gerechtfertigt sein, wenn sie eine „ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente“ sicherstelle. Die Besteuerungsbefugnis erstrecke sich lediglich auf die Wertzuwächse, die im deutschen Hoheitsgebiet in dem Zeitpunkt erzielt worden sind, in dem der Kläger im Inland ansässig gewesen ist. Die sofortige Einziehung der Steuer sei jedoch nicht verhältnismäßig. Eine automatische zeitlich unbegrenzte Stundung bis zur Realisierung der Gewinne könne ein milderes Mittel darstellen und wird bei Umzug in die Mitgliedstaaten der EU auch so gehandhabt.

Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, ist seit 2008 Geschäftsführer einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft, an der er zur Hälfte beteiligt ist. Im Streitjahr 2011 verlegte er seinen Wohnsitz vom Inland in die Schweiz. Das beklagte Finanzamt unterwarf die Wertsteigerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft, die sog. stillen Reserven, im Inland der Besteuerung. Weil der Wegzug zur zeitlichen Vorverlagerung der Einkommensteuer auf den Gewinn aus einer (möglichen) Veräußerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft führe. Die Steuer hierauf könne nicht zinslos, unbefristet und ohne Sicherheitsleistung bis zum Verkauf der Anteile gestundet werden, da Stundungsmöglichkeiten nur bei einem Umzug innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestünden. Die Gefahr einer Doppelbesteuerung bestehe nicht. Eine Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft werde in der Schweiz nicht besteuert.

Wenn der EuGH das Abkommen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (FZA) auch bezüglich der Schweiz für anwendbar hält, dann dürften auch die stillen Reserven nicht direkt bei Umzug der Besteuerung unterliegen. Die Entscheidung des EuGH über diese Anwendbarkeit ist entscheidungserheblich für die Frage, ob die Besteuerung zu Recht erhoben wurde.

Die Argumentationslinie des FG Baden-Württemberg finden Sie umfangreich ausgearbeitet unter:

Vorlagebeschluss des FG Baden-Württemberg.