06.10.2021 10:50 Alter: 2 yrs
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Almuth Barkam

Die Kumulierung – große Unbekannte oder echte Chance?

Das Thema „Kumulierung“ spielt in vielen Unternehmen, die Präferenzregelungen im Im- und Export in Anspruch nehmen, keine Rolle. Wir möchten einen Blick darauf werfen, in welchen Fällen das Thema für ein Unternehmen interessant sein kann.

Bilaterale und multilaterale Kumulierung, volle und eingeschränkte Kumulierung, variable Geometrie, Kumulationsvermerk, Paneuropäische Zone, Pan-Euro-Med-Zone, Regionales Übereinkommen – die Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Thema „Kumulation / Kumulierung“ verwendet werden, machen nicht unbedingt Mut, sich mit dem Thema Kumulierung zu beschäftigen. In der Beratung und in unseren Seminaren teilen uns Mitarbeiter von Unternehmen häufig mit, dass sie sich an das Thema „Kumulierung“ nicht herantrauen. Dies gilt selbst für Mitarbeiter, die im Präferenzrecht erfahren sind und so wird das Thema in der Regel mit einem Satz in der Arbeits- und Organisationsanweisung aus dem Unternehmen verbannt: „Kumulierung wenden wir nicht an.“

Das ist schade, denn in bestimmten Fallkonstellationen kann über die Kumulierung Ursprung erlangt werden, den man bei reiner Betrachtung der Verarbeitungsliste möglicherweise nicht erhalten würde. Höchste Zeit also, dem Thema den Schrecken zu nehmen! Im Rahmen dieses Beitrags können wir dabei nur auf einzelne Punkte eingehen, über neue Entwicklungen informieren und Sie ganz allgemein für das Thema sensibilisieren. Einen guten Einstieg in die Thematik bieten die recht umfassenden Informationen auf der Internetseite der deutschen Zollverwaltung.

1. „Warm up“: Bilaterale Kumulierung

Die eingängigste und häufigste Form der Kumulierung ist die bilaterale Kumulierung, die in jedem Präferenzabkommen verankert ist, das die Europäische Union (EU) mit ihren Vertragspartnern geschlossen hat. Für in der EU hergestellte Waren bedeutet sie Folgendes: Die bilaterale Kumulierung kann Anwendung finden, wenn bei der Herstellung der Ware ausschließlich Vormaterialien des jeweiligen Partnerstaats verwendet werden und die hergestellte Ware wieder in den Partnerstaat ausgeführt wird. Wenn in diesem Fall bei der Be- oder Verarbeitung des Vormaterials mehr als eine Minimalbehandlung stattfindet, kann das Erzeugnis als EU-Ursprungsware in den Partnerstaat ausgeführt werden. Geht die Bearbeitung über eine Minimalbehandlung nicht hinaus, bleibt es beim Ursprung des Vertragspartners. Für diesen Ursprung wird bei der „Rückkehr“ ins Heimatland in der Regel keine Präferenz gewährt!

Vorteil Ursprungskalkulation: In einer solchen Konstellation müssen die Bedingungen der Verarbeitungsliste für die Vormaterialien des Partnerstaates nicht erfüllt sein. Werden daneben andere Vormaterialien ohne Ursprung bei der Herstellung eingesetzt, müssen die Listenbedingungen für diese Produkte selbstverständlich erfüllt werden, damit das Erzeugnis insgesamt EU-Ursprung erlangt.

2.    „Qualifying“: Eingeschränkte und vollständige Kumulierung

Wir bleiben zunächst bei der bilateralen Kumulierung aus Sicht der EU (= Herstellung in der EU) und betrachten die zwei möglichen Formen der eingeschränkten und der vollständigen bilateralen Kumulierung.

2.1.    Eingeschränkte Kumulierung

Bei der eingeschränkten Kumulierung dürfen nur Vormaterialien verwendet werden, deren Ursprung im Partnerstaat mittels Präferenznachweis belegt ist.

2.2.    Vollständige Kumulierung

Bei der vollständigen Kumulierung dürfen darüber hinausgehend bei der Herstellung auch Vormaterialien verwendet werden, die im Partnerstaat be- oder verarbeitet  wurden, dadurch aber noch keinen Präferenzursprung erlangt haben. In diesem Fall erfolgt mit der grenzüberschreitenden Lieferantenerklärung für Waren ohne Präferenzursprungseigenschaft der Nachweis über die im Partnerstaat stattgefundenen Be- oder Verarbeitungen. Die vollständige Kumulierung ist beispielsweise in den Präferenzabkommen der EU mit Japan (Art. 3.5 Abs. 2 Kapitel 3 Ursprungsregeln und Ursprungsverfahren) und Kanada (Art. 3 Abs. Protokoll über Ursprungsregeln) vorgesehen.

3.    Kür: Diagonale bzw. multilaterale Kumulierung

Man kann sich vorstellen, dass eingeschränkte und insbesondere die vollständige Kumulierung noch interessanter sind, wenn mehr als zwei Staaten beteiligt sind. Hier muss der Ursprung in dem Präferenzraum insgesamt begründet werden, wobei bei der vollständigen Kumulierung sämtliche Be- oder Verarbeitungen anerkannt werden – auch solche, die nicht ursprungsbegründend sind. Die vollständige Kumulierung innerhalb eines mehrere Staaten umfassenden Abkommens ist z.B. vorgesehen im Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zwischen der EU und den Ländern Norwegen, Island und dem Fürstentum Liechtenstein (s. Art. 3, Art. 27 des Ursprungsprotokolls).

4.    Praktisches Beispiel: Abkommen mit Großbritannien (TCA)

Seit dem 01.01.2021 wurden wir vielfach gefragt, ob es nach dem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich Möglichkeiten gibt, dass Vormaterialien, die im Rahmen anderer Präferenzabkommen in die EU geliefert wurden, bei Ausfuhren ins Vereinigte Königreich als Ursprungswaren anerkannt werden können. Die klare Antwort ist: NEIN!

Das Abkommen der EU mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (TCA) ist als rein bilaterales Abkommen ausgestaltet! Die entsprechenden Regelungen befinden sich in Art. 40 Kapitel 2 Ursprungsregeln. Vorgesehen ist eine eingeschränkte bilaterale Kumulierung in Absatz 1 und eine vollständige Kumulierung in Absatz 2:

(1) Ein Erzeugnis mit Ursprung in einer Vertragspartei gilt als Ursprungserzeugnis der anderen Vertragspartei, wenn es in dieser anderen Vertragspartei als Vormaterial bei der Herstellung eines anderen Erzeugnisses verwendet wird.

(2) Eine Behandlung, die in einer Vertragspartei an einem Vormaterial ohne Ursprungseigenschaft durchgeführt wird, darf bei der Ermittlung, ob ein Erzeugnis ein Ursprungserzeugnis der anderen Vertragspartei ist, berücksichtigt werden.

Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass das Erzeugnis ausreichend – also mehr als minimal – bearbeitet wird, Abs. 3.

Wird also ein Vormaterial (Motor) aus dem Vereinigten Königreich in die EU geliefert, dort im Rahmen eines – über eine Minimalbehandlung hinausgehenden – Verarbeitungsprozesses – in ein Erzeugnis (Maschine) eingebaut und wieder ins VK geliefert, dann müssen im Hinblick auf dieses Vormaterial die Bedingungen der Verarbeitungsliste nicht erfüllt sein.

5.    Aktuelles: Regionales Übereinkommen – neue Ursprungsprotokolle – alternative Ursprungsregeln

Mit dem sog. Regionalen Übereinkommen wurde der Versuch unternommen, die vielen bilateralen Ursprungsprotokolle, die überwiegend identische Ursprungsregeln beinhalten, in einem zentralen Dokument zusammenzuführen. Die Ursprungsprotokolle (der weiterhin gültigen Präferenzabkommen) müssen zur Anwendbarkeit des Übereinkommens dahingehend angepasst werden, dass sie auf die Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens verweisen. Dies ist bereits für zahlreiche Abkommen erfolgt. Laut Mitteilung der Zollverwaltung vom 08.09.2021 ist der Prozess der Zusammenführung der Dokumente zu einem Rechtsakt ins Stocken geraten. Dennoch möchte man den "unterstützungswilligen" Vertragsstaaten,  die Möglichkeit einräumen, modernisierte und vereinfachte Ursprungsregeln anzuwenden. Deshalb werden nun die jeweiligen bilateralten Ursprungsprotokolle mit alternativ anwendbaren Übergangsregeln ergänzt, die bis auf Weiteres optional zu den bestehenden Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens angewandt werden können. Exporteure haben somit nun ein Wahlrecht, ob sie die weiterhin gültigen Bestimmungen des Regionalen Übereinkommens anwenden oder die Übergangsregeln - eine Durchmischung darf jedoch nicht stattfinden.

Die EU-Kommission informiert über folgende Internetseite aktuell darüber, mit welchen Partnerländern und zu welchem Zeitpunkt die EU die Übergangsregeln anwendet: https://ec.europa.eu/taxation_customs/customs-4/international-affairs/pan-euro-mediterranean-cumulation-and-pem-convention_en

Der Hintergrund ist, dass die Ursprungsprotokolle unabhängig von ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt bereits mit Abschluss des jeweiligen schriftlichen Annahmeverfahrens in Kraft treten. Es stellt sich die Frage, wie man die Protokolle anwenden soll, wenn sie noch nicht veröffentlicht sind. Der Zoll weist in seiner Meldung darauf hin, dass bis zur Veröffentlichung hilfsweise die im EU-Portal des Rates veröffentlichten Entwürfe der EU-Ratsbeschlüsse bei der Ursprungsprüfung heranzuziehen seien, die ebenfalls auf der oben genannten Seite abrufbar sind.  

Nähere Informationen dazu, was aufgrund des Nebeneinanders der Regelwerke im Hinblick auf Präferenznachweise und Lieferantenerklärungen zu beachten ist, erhalten Sie in der Fachmeldung der Zollverwaltung, Stand 08.09.2021.

Fazit:

Es wäre wohl etwas vermessen, den Anspruch zu haben, den gesamten Themenkomplex „Kumulierung“ im Rahmen eines Infoletter-Beitrags zu behandeln. Insbesondere die Frage, wie Ursprungerklärungen und Lieferantenerklärungen im Einzelfall auszugestalten sind, stellt ein eigenes Thema dar. Dennoch haben wir hoffentlich etwas Licht ins – nach unserer Wahrnehmung – weit verbreitete Dunkel der Kumulierung gebracht. Präferenznachweise, die Sie für einzelne Erzeugnisse bei der Einfuhr in die EU von Ihren Zulieferern erhalten, können bei Lieferungen innerhalb von multilateralen Kumulierungszonen hilfreich sein für die Ursprungsbegründung. Es kann sich deshalb durchaus lohnen, sich mit dem Thema Kumulierung zu beschäftigen, gerade wenn Sie Lieferungen innerhalb des EWR oder der Pan-Euro-Med-Zone durchführen.

Wir unterstützen Sie gerne, wenn Sie Ihrer Lieferbeziehungen und Ursprungskalkulationen unter Kumulierungsgesichtspunkten überprüfen möchten.