06.05.2022 15:10 Alter: 2 yrs
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Almuth Barkam

Diskussion um Einfuhrzölle auf Gas- und Ölimporte aus Russland – Kann der Zoll es richten?

Im Zusammenhang mit den gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union wurde und wird die Frage eines Embargos gegenüber Einfuhren von russischem Öl und Gas diskutiert.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat uns die dramatische Abhängigkeit vieler EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands, von diesen aus Russland gelieferten Energieträgern vor Augen geführt. Wirtschaftsökonomen sowie Politik, Industrie und Sozialverbände sind gespalten hinsichtlich der Frage, welche Folgen ein Lieferstopp für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft haben würde.

Als Alternativlösung wird zunehmend über einen Einfuhrzoll auf russisches Öl und Gas diskutiert.

Was könnte ein Zoll bewirken?

Ein Zoll auf Öl- und Gasimporte würde den Preis für diese Produkte sicherlich erhöhen, denn die russischen Energie-Unternehmen würden diese Kosten in den Abnahmereis in der EU einkalkulieren. Konsumenten in der EU – Privathaushalte und Unternehmen – wären also mit höheren Benzin- und Heizkosten konfrontiert, die sie nur durch einen verringerten Verbrauch reduzieren könnten. Ein Einfuhrzoll könnte somit zu einer reduzierten Nachfrage von Öl und Gas führen und dadurch die Einnahmen der russischen Exporteure von Gas und Öl und letztlich des russischen Staates reduzieren. In einem Gastbeitrag für die FAZ schildern die Autoren, Harald Fadinger und Jan Schymik, dass insbesondere im Fall einer Zollbelastung von Gas eine sinkende Nachfrage in der EU dazu führen würde, dass russische Unternehmen ihre Produzentenpreise senken würden, um ihre Produktion absetzen zu können. Dies würde ihre Gewinne reduzieren. Den Grund für eine solche Entwicklung sehen die Autoren darin, dass das russische Angebot von Gas "unelastisch" sei: Es reagiere wenig auf Änderungen der Marktpreise, da die Gasfelder, die Europa versorgten, nicht an andere Abnehmer liefern könnten. Sie seien nicht mit China verbunden und Russland habe auch nicht die Möglichkeit, das Gas mithilfe von LNG-Terminals zu verflüssigen. Die Produktionskapazität sei daher fix (Fadinger/Schymik, So sollte die EU mit russischen Energieimporten umgehen, Abruf am 04.04.2022).

Der "Vorteil" der von den Autoren skizzierten Entwicklung liegt darin, dass die Exporteure faktisch daran gehindert sind, den Gaspreis beliebig zu erhöhen. Damit liegt die Last – anders als bei einem Embargo – vor allem auf den Schultern des Exporteurs.

Auf dem Ölmarkt findet den Autoren zufolge wesentlich mehr Wettbewerb statt, so dass Russland sich neue Märkte suchen und in diesem Zuge voraussichtlich vermehrt Öl nach China liefern würde. Da der Wert russischer Ölexporte in die EU den Wert der russischen Gasexporte jedoch um mehr als das Fünffache übersteige, käme auch einem relativ niedrigen Zollsatz auf Öl eine quantitativ hohe Bedeutung zu. Konsumenten mit niedrigem Einkommen und energieintensive Unternehmen sollten aus den Zolleinnahmen durch Fixzahlungen für die höheren Verbraucherpreise entschädigt werden, was den Autoren zufolge gelingen könnte, wenn der Zoll (auf Öl- und Gas) optimal gewählt werde.

Sind die Voraussetzungen für einen Einfuhrzoll gegeben?

Es stellt sich die Frage, ob die EU überhaupt einseitig einen solchen Einfuhrzoll einführen könnte.

Sowohl Russland als auch die EU und deren Mitgliedstaaten sind Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) und die Gleichbehandlung ist eines der Grundprinzipien des WTO-Übereinkommens: Die sog. Meistbegünstigungsregel verpflichtet die Mitgliedstaaten der WTO dazu, etwaige Vorteile und Befreiungen, die einem bestimmten Land gewährt werden, unverzüglich und bedingungslos allen WTO- Mitgliedern zu gewähren (Art. I GATT, Art. II GATS, Art. 4 TRIPs). Damit wird erreicht, dass jede Liberalisierung gegenüber einem bestimmten Mitglied grundsätzlich zur Liberalisierung gegenüber allen Mitgliedern führt. Insofern lässt sich die Meistbegünstigungsregel auch als Gleichbehandlungsgebot bezeichnen (Witte/Wolffgang, Lehrbuch des Zollrechts der Europäischen Union, 10. Auflage, Rn. A3014).

Im Rahmen des vierten Sanktionspakets gegenüber Russland, das die EU am 15.03.2022 verabschiedet hat, hat die EU gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) beschlossen, die Meistbegünstigung für Waren und Dienstleistungen der Russischen Föderation auf den EU-Märkten auszusetzen. Damit wäre die Einführung eines Einfuhrzolls auf Öl und Gas aus Russland möglich.

Fazit

Die Idee, über eine Zollabgabe die Gewinne russischer Exporteure von Öl und Gas zu reduzieren und der EU zugleich eine Einnahmequelle zu verschaffen, über die einkommensschwache Konsumenten und energieintensive Unternehmen entschädigt werden könnten, klingt angesichts der Schreckensszenarien, die im Zusammenhang mit einem Öl- und Gasembargo skizziert werden, bestechend einfach. Die Idee hat jedoch zwei Haken: Sie setzt zuvörderst voraus, dass die Nachfrage nach russischem Öl und Gas zurückgeht, um die beabsichtigte Preissenkung durch die Produzenten zu veranlassen. Angesichts der gravierenden Abhängigkeit insbesondere deutscher Haushalte und der Wirtschaft von diesen Energieträgern scheint eine Reduzierung des Öl- und Gasverbrauchs schwierig, solange zu wenig Alternativen (erneuerbare Energien; E-Mobilität; funktionierender Nahverkehr) zur Verfügung stehen. Zudem wird eine solche Methode, die ihre Wirkung nachfrageorientiert entfaltet, wohl eher eine langfristige Lösung sein und zumindest kurzfristig das Problem nicht lösen, dass täglich hunderte Millionen Euro aus der EU nach Russland überwiesen werden.

Eine weitere Unwägbarkeit ist, dass die Idee einer Entschädigung der besonders betroffenen Personen / Unternehmen nur funktioniert, wenn der Zoll optimal kalkuliert ist.

Vor dem Hintergrund der unerträglich hohen Geldsummen, die täglich nach Moskau fließen, aber auch angesichts der schweren wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die ein Öl- und Gasembargo auslösen würde, sollten alle Möglichkeiten auf den Prüfstand und die Effektivität eines Einfuhrzolls als Alternativlösung von weisen Experten geprüft und durchdacht werden. Dass ein Einfuhrzoll eine starke Lenkungswirkung haben kann, zeigt der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission, Einfuhrzölle auf alle ukrainischen Ausfuhren in die Europäische Union für ein Jahr auszusetzen. Der Kommissionsvorschlag sieht auch die Aussetzung aller Antidumping- und Schutzmaßnahmen der EU gegenüber ukrainischen Stahlausfuhren für ein Jahr vor. Die Kommission möchte dadurch erreichen, dass Ausfuhren der Ukraine in die EU gesteigert werden, um so die schwierige Lage, in der sich die ukrainischen Hersteller und Ausführer angesichts der Militärinvasion Russlands befinden, zu lindern (s. hierzu Pressemitteilung der EU-Kommission vom 28.04.2022). Der Vorschlag muss vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union erörtert und gebilligt werden.