19.07.2019 11:12 Alter: 5 yrs
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwalt Dr. Ulrich Möllenhoff

EuGH-Vorlage: Hinzurechnung von Software-Entwicklungskosten zum Zollwert

Das Finanzgericht München hat mit Beschluss vom 06.06.2019 (14 K 2609/18) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Entwicklungskosten für eine Software, die in der Europäischen Union erarbeitet und dem Verkäufer unentgeltlich vom Käufer zur Verfügung gestellt wurde, dem Transaktionswert für die eingeführte Ware nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) UZK hinzuzurechnen sind, wenn sie nicht in dem für die eingeführte Ware tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis enthalten sind.

In dem zugrundeliegenden Fall führte die Klägerin Steuergeräte für Kraftfahrzeuge von verschiedenen Herstellern im Drittland in den freien Verkehr der Union ein. Die Klägerin stellte den drittländischen Lieferanten kostenlos Software-Komponenten zur Verfügung, die von diesen auf die Steuergeräte aufgespielt worden waren, die schließlich an die Klägerin geliefert wurden. Die Hersteller im Drittland beziehen die Software, die auf einem Portal der Klägerin bereitgestellt wird, mittels eines Downloads. Die Software ist durch beauftragte Unternehmen in der EU oder von der Klägerin selbst entwickelt worden. Sie steht im Eigentum der Klägerin, Lizenzgebühren waren dafür nicht zu entrichten. Die Lieferanten im Drittland müssen laut vertraglicher Vereinbarungen vor der Auslieferung der Steuergeräte einen Funktionstest durchführen, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit von Steuergerät und Software reibungslos funktioniert.

Das Hauptzollamt (HZA) kam im Rahmen einer Zollprüfung zu der Auffassung, dass die Kosten für die Entwicklung der Software dem Zollwert nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i) UZK hinzuzurechnen sind.

Es wäre so einfach, wenn Software wie eine Ware zum Veredelungsverkehr angemeldet werden könnte. Anders als das Steuerrecht oder das Exportkontrollrecht stellt das Zollrecht die Software der Ware nicht gleich. Aus diesem Grund scheiden Veredelungsverfahren für Software aus. Da das Zollverfahren der passiven Veredelung für Software nicht zugänglich ist, sieht die Klägerin darin eine Regelungslücke für Beistellungen, die nicht die Eigenschaft einer Ware besitzen. Eine Hinzurechnung nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) UZK sei nach Ansicht der Klägerin nicht vorzunehmen, weil diese Regelung nicht anwendbar ist. Die Vorschriften stammten aus einer Zeit, zu der aufgespielte Software nicht oder nur sehr eingeschränkt vorgekommen sei. Sollte die Software von Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. iv) UZK erfasst sein, käme eine Hinzurechnung nicht in Betracht, weil die Software nicht außerhalb der Union erarbeitet worden ist.

Das HZA ist der Auffassung, dass eine Zurechnung nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i) zu erfolgen habe, obwohl geistige Beistellungen von Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. iv) UZK erfasst werden. Es handele sich bei der Software um einen immateriellen Bestandteil der eingeführten Ware. Sie verbessere die Funktionalität der Ware und trage damit nicht unwesentlich zum Wert der Ware bei, sei aber – anders als geistige Beistellungen - für die Herstellung der Steuergeräte als Endware nicht notwendig.

Da für die Software keine Lizenzgebühren angefallen sind, die nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. c) UZK zum Transaktionswert hinzugerechnet werden können, ist im vorliegenden Fall zu klären, ob die Entwicklungskosten einer Kategorie von Beistellungen nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) UZK entsprechen.

Das Finanzgericht München gab zu erkennen, dass es dazu neige, die fragliche Software als "Technik" oder "Entwicklung" unter Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv) UZK zu fassen, wonach eine Hinzurechnung der Kosten zu unterbleiben hat, wenn diese in der EU erarbeitet worden sind. Es verweist in diesem Zusammenhang auf das Vorabentscheidungsverfahren des EuGH vom 16.11.2006 – C-306/04 (Compaq Computer International Corporation), in dem die niederländische und deutsche Regierung noch eine entsprechende Einschätzung abgegeben hatten (Rn. 34).

Ob unter die Materialbeistellungen nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i) UZK überhaupt immaterielle Bestandteile zu fassen sind – wie vom HZA vertreten – ließ das Gericht offen. Dem Wortlaut nach könne man daran zumindest zweifeln.

Ausgehend von der Annahme, dass dies möglich ist, hat das FG es für entscheidungserheblich angesehen, auf welchen Liefergegenstand abzustellen ist und welche Techniken bzw. Entwicklungen für dessen Herstellung notwendig sind.

Nach Auffassung des Gerichts ist der nach den Verträgen geschuldete Funktionstest Teil des Produktionsprozesses. Erst durch diesen Vorgang unter Einschluss des Aufbringens der gewünschten Technologie sei die Funktionsfähigkeit und Verwendungsfähigkeit der Steuergeräte für die Klägerin gewährleistet worden.

Diese Auslegung des Begriffs der geistigen Beistellung werde dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht, wonach die der Wirtschaft des Einfuhrlandes zurechenbaren geistigen Leistungen gegenüber den einem Drittland zurechenbaren Leistungen zu privilegieren seien.

Anmerkung:

Die Auslegung der Regelungen der Hinzurechnungstatbestände des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) UZK durch das FG München sind in jeder Hinsicht zu begrüßen. Die Auffassung der deutschen Zollverwaltung, geistige Leistungen als Materialbeistellungen anzusehen und in den Zollwert einzubeziehen, führt auf Seiten der Wirtschaft zu schwer nachvollziehbaren und kostspieligen Zollwertbemessungen. Im konkreten Fall führte es dazu, dass europäische Software zu verzollen wär. In Zollprüfungen ist die Überprüfung der Zollwertberechnung ein „gern gesehener“ Prüfungspunkt seitens der Verwaltung, Nacherhebungen von Einfuhrabgaben aufgrund nicht erfolgter Hinzurechnungen häufig die Folge.    

Unserer Auffassung nach wird die Auslegung der Hinzurechnungstatbestände durch die deutsche Zollverwaltung in vielen Konstellationen nicht den modernen Produktionsmethoden gerecht und verkennt den eigentlichen Sinn der Ziffer iv): In der EU entwickelte Techniken, Pläne, Designs, Software-Komponenten etc. sind gegenüber den im Drittland erbrachten Leistungen zu privilegieren. Diese stellen nämlich immer mehr den Hauptwertanteil einer Ware dar. Dieses Problem wird sich im Zeitalter des Internets der Dinge noch weiter verschärfen.

Siehe Rechtssache BMW, EuGH (C-509/19)

Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Ulrich Möllenhoff, Fachanwalt für Steuerrecht