15.12.2022 15:48 Alter: 1 year
Kategorie: Zoll
Von: Verfasser: Rechtsanwalt Heiko Panke

Zinsen auf erstattete Abgaben

Das Finanzgericht Hamburg hat in einem aktuellen Urteil vom 01.12.2022 – 4 K 19/21 - zu Zinsen auf Abgaben entschieden, die ohne einen gerichtlich festgestellten Rechtsanwendungsfehler erstattet wurden.

Es sprach einem Unternehmen Zinsen für entrichtete Beträge vom Zeitpunkt ihrer Entrichtung bis zur Erstattung in Höhe von 0,5 % für jeden vollen Monat zu.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Das Hauptzollamt setzte gegenüber einem Unternehmen (Klägerin) per Bescheid Einfuhrabgaben wegen des angeblichen Missbrauchs einer Einfuhrlizenz fest, die die Klägerin direkt entrichtete. Sie legte einen Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid ein, den das beklagte Hauptzollamt in der Folgezeit nicht beschied. Daher erhob sie eine Untätigkeitsklage beim Finanzgericht Hamburg, die unter dem Az. 4 K 53/17 geführt wurde.

Das beklagte Hauptzollamt erließ nach Erhebung der Klage einen Erstattungsbescheid und hob den Einfuhrabgabenbescheid auf, da die Klägerin sich erfolgreich auf Vertrauensschutz (Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK) berufen konnte. Das Verfahren 4 K 53/17 wurde daraufhin für erledigt erklärt und die Abgaben wurden der Klägerin erstattet.

Die Klägerin beantragte daraufhin beim beklagten Hauptzollamt die Gewährung von Zinsen für den Zeitraum von der Entrichtung der Einfuhrabgaben bis zu deren Erstattung. Da das beklagte Hauptzollamt den Antrag nicht beschied, erhob die Klägerin erneut Klage. Sie stützte sich zur Begründung ihres Zinsanspruchs auf die europäischen Grundsätze über die Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge. Der EuGH habe in seinem jüngsten Urteil vom 28.04.2022 (C-415/20) bekräftigt, dass der Wirtschaftsbeteiligte gegen den betreffenden Mitgliedstaat nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben, sondern auch einen Anspruch auf Zinsen habe, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrages auszugleichen. Diese Ansprüche seien nicht auf bestimmten Fallgruppen beschränkt, sondern erfassten alle Fallgestaltungen, in denen unter Verstoß gegen das Unionsrecht Abgaben erhoben worden seien, weshalb sie eine Verzinsung des entrichteten Betrages für den Zeitraum der Zahlung bis zur Erstattung in Höhe von 0,5 % pro Monat beantragte.

Das beklagte Hauptzollamt begründete die Zurückweisung des Zinsanspruchs damit, dass ein unionsrechtlicher Zinsanspruch nur bestehe, wenn Einfuhrabgaben aufgrund eines gerichtlich festgestellten Rechtsanwendungsfehlers zu erstatten seien. Es müsse eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand der Verfahrensbeteiligten ergangen sein. Vorliegend sei das Verfahren 4 K 53/17 nicht aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, sondern infolge übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten abgeschlossen worden. Dass die Abhilfe letztlich darauf zurückzuführen sei, dass der Berichterstatter des Verfahrens 4 K 53/17 den Hinweis gegeben habe, dass er das Urteil des FG München vom 25.10.2018 (14 K 3071/16), das einen vergleichbaren Sachverhalt anderer Verfahrensbeteiligter betroffen habe, im Ergebnis auf den hiesigen Streitfall für übertragbar halte, sei insoweit unbeachtlich. Letztlich komme es mit Blick auf den unionsrechtlichen Zinsanspruch allein darauf an, dass im konkreten Streitfall gerade keine gerichtliche Entscheidung ergangen sei.

Entscheidung des Gerichts

Das Finanzgericht Hamburg entschied das Verfahren zu Gunsten der Klägerin und sprach ihr eine Verzinsung der zu Unrecht festgesetzten Abgaben zu.

Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch finde seine Rechtsgrundlage unmittelbar im Unionsrecht. Die Klägerin könne Zinsen für den Zeitraum beanspruchen, der zwischen dem Tag, an dem die Abgaben entrichtet worden seien, und dem Tag liege, an dem ihr die Abgaben erstattet worden seien. Dem von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch stehe nicht entgegen, dass das Vorliegen eines Unionsrechtsverstoßes, der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu einem Anspruch des Betroffenen auf Erstattung sowie auf Zahlung von Zinsen gegen den betreffenden Mitgliedstaat führe, im Streitfall (in dem Verfahren 4 K 53/17) nicht von einem Gericht festgestellt worden sei. Die Höhe der Zinsen und der Zinslauf würden sich nach § 238 der Abgabenordnung (AO) bemessen.

Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung damit, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Zahlung von Zinsen die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrages ausgleichen solle (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, - C-415/20, C-419/20 und C-427/20, Rn. 52; Urteil vom 19.07.2021, C-591/10, Littlewoods Retail u.a., Rn. 24) und der EuGH bereits in diesem Urteil darauf hingewiesen habe, dass sich der Verstoß gegen das Unionsrecht auf jede Regel des Unionsrechts beziehen könne, sei es eine Bestimmung des Primär- oder Sekundärrechts oder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts (Rn. 61). Da die unionsrechtlichen Ansprüche auf Erstattung und auf Zahlung von Zinsen Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes seien, sei die Anwendung dieser Ansprüche nicht auf bestimmte Unionsrechtsverstöße beschränkt und nicht bei bestimmten Unionsrechtsverstößen ausgeschlossen (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, a.a.O., Rn. 62). Daraus folge, so das Finanzgericht, dass diese Ansprüche nicht nur dann geltend gemacht werden könnten, wenn eine nationale Behörde von einem Wirtschaftsbeteiligten auf der Grundlage eines Unionsrechtsaktes, der sich als rechtswidrig erweise, einen Geldbetrag in Form einer Abgabe festgesetzt habe, sondern auch dann, wenn sich herausstelle, dass die nationale Behörde bei einer unionsrechtlich unzutreffenden Anwendung eines Unionsrechtsaktes vom Wirtschaftsbeteiligten eine Abgabe erhoben habe.

Im vorliegenden Fall ergab sich der Verstoß gegen das Unionsrecht aus einer unionsrechtlich unzutreffenden Auslegung eines Unionsrechtsaktes, denn das beklagte Hauptzollamt hatte aufgrund einer fehlerhaften Anwendung des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK gegenüber der Klägerin zu Unrecht nachträglich Einfuhrabgaben festgesetzt.

Daher könne die Klägerin Zinsen für den Zeitraum, der zwischen dem Tag, an dem die Abgaben entrichtet worden seien, und dem Tag, an dem ihr die Abgaben erstattet wurden, beanspruchen. Der unionsrechtliche Zinsanspruch solle die Nichtverfügbarkeit des dem Wirtschaftsbeteiligten zu Unrecht vorenthaltenen Geldbetrages ausgleichen, sodass die zu zahlenden Zinsen den Gesamtzeitraum abdecken müssten (vom Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung bis zum Tag ihrer Erstattung).

Dem stehe aus Sicht des Finanzgerichts auch nicht entgegen, dass der Unionsrechtsverstoß nicht von einem Gericht festgestellt worden sei. Es begründete seine Sichtweise nach einer dezidierten Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH damit, dass das Unionsrecht mit der Gewährung des Zinsanspruchs seine eigene Wirksamkeit dadurch wiederherstellen wolle, dass der entgangene Nutzwert des Geldes für den Zeitraum ausgeglichen werde, für den er einer Person unionsrechtswidrig vorenthalten wurde (unter Hinweis auf die Ausführungen der Generalanwältin Capeta, Schlussanträge vom 13.01.2022, a.a.O., Rn. 68).

Der Zinsanspruch entstehe als Folge des Verstoßes gegen die zur Zahlung berechtigende Norm ab dem Zeitpunkt des Verstoßes gegen dieses Recht und diene der Wiederherstellung des Unionsrechts. Dieses könne nur dann wiederhergestellt werden, wenn der Wirtschaftsbeteiligte in einen Zustand ohne den Verstoß gegen das Unionsrecht durch die fehlerhafte Anwendung des Unionsrechts zurückversetzt werde. Es käme daher nicht darauf an, ob der Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand zwischen dem Wirtschaftsbeteiligten und der Zollverwaltung festgestellt worden sei, sondern vielmehr darauf, dass der Wirtschaftsbeteiligte aufgrund eines Rechtsanwendungsfehlers der Zollverwaltung zu einer unionsrechtswidrigen Entrichtung von Abgaben herangezogen worden sei.

Daraus folge, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht, auch im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens auf der ersten Stufe bei einer Zollbehörde (Art. 44 Abs. 2 lit. a) UZK) durch die Zollbehörde selbst festgestellt werden könne. Entsprechend verhalte es sich, wenn die Zollbehörde aufgrund eines richterlichen Hinweises im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gegen die Abgabenfestsetzung die vom Wirtschaftsbeteiligten angefochtene Abgabenerhebung korrigiere und dem Wirtschaftsbeteiligten die von ihm entrichteten Abgaben erstatte.

Eine Ausnahme davon mache nur die Vorschrift des Art. 241 ZK bzw. Art. 116 UZK für Fälle, in denen die Erstattung von Abgaben auf Fehlern bei der Berechnung von Zöllen beruhe, die der Schnelligkeit des Zollabfertigungssystems geschuldet seien (vgl. EuGH, Urteil vom 28.04.2022, a.a.O., Rn. 73; Urteil vom 18.01.2017, C-365/15, Wortmann, Rn. 25). Im Streitfall sah das Finanzgericht allerdings keinen Fehler dieser Art.

In Ermangelung einer Unionsregelung die Modalitäten für die Zahlung von Zinsen bei Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Geldbeträgen vorsehe, bemessen sich die Höhe der Zinsen und der Zinslauf nach § 238 der Abgabenordnung (AO). Dass nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO Zinsen nur für volle Monate zu zahlen seien, angefangene Monate dagegen außer Ansatz bleiben, sei mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, so das Finanzgericht.

Das Finanzgericht sah keine Gründe für eine Zulassung der Revision zum Bundesfinanzhof (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung).

Anmerkung:

Das Finanzgericht hat eine für Wirtschaftsbeteiligte sehr erfreuliche Entscheidung getroffen. Wer die Rechtsprechung des EuGH seit der Rechtssache Wortmann (C-365/15) verfolgt hat, konnte zwar eine Tendenz zur Verzinsung entnehmen, in aller Deutlichkeit haben Gerichte in Folgeentscheidungen zur Verzinsung zum Teil jedoch nicht geurteilt, was aber auch leider daran lag, dass die zur Entscheidung stehenden Fälle häufig Besonderheiten aufwiesen, die in der Praxis eher selten auftreten. Die problematischen Fälle sind in der Praxis die Fälle, in denen aufgrund von Prüfungen (Zollprüfungen, Beschau im Rahmen von Einfuhrvorgängen) nachträglich Einfuhrabgeben erhoben werden und sich über die Rechtmäßigkeit dieser Nacherhebungen gestritten wird, also sog. Rechtsanwendungsfehler. Bis in diesen Fällen endgültige Entscheidungen getroffen werden, können mitunter Jahre vergehen. Für die Vorenthaltung dieser Beträge eine Verzinsung zu erhalten, wenn die Beträge im Nachhinein wieder erstattet werden, ist ein folgerichtiges Ergebnis. Schließlich fordert die Zollverwaltung auch Zinsen für Beträge, die aufgrund von Zollprüfungen nacherhoben werden. Zwar ist diese Verzinsung nach dem UZK vorgesehen, nicht jedoch die Verzinsung in die Richtung, dass festgesetzte Beträge dem Wirtschaftsbeteiligten nachträglich erstattet werden.

Erfreulich ist an der Entscheidung auch, dass das Finanzgericht unter Hinweis auf Art. 44 Abs. 2 lit. a) UZK ausführt, dass der Verstoß gegen das Unionsrecht auch im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens auf der ersten Stufe bei einer Zollbehörde durch die Zollbehörde selbst festgestellt werden könne und dass Rechtsanwendungsfehler der Zollverwaltung, die nicht der Schnelligkeit des Zollabfertigungssystems geschuldet sind, zu einer Unionsrechtswidrigkeit führen können. Dies wird die Vielzahl der Fälle in der Praxis betreffen.

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Entscheidung Bestand haben wird, denn die Nichtzulassung der Revision kann nachfolgend durch einen Beteiligten mit einer sog. Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden. Daher könnte es sein, dass die Entscheidung nachfolgend noch einmal durch den Bundesfinanzhof (BFH) überprüft wird. Dazu müsste innerhalb der Rechtsmittelfrist eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden. Inwieweit dies in dem Verfahren erfolgt, ist derzeit nicht bekannt.

Unabhängig davon ist aber zur Wahrung des eigenen Zinsanspruchs jedes Wirtschaftsbeteiligten wichtig, dass rechtzeitig die Verjährung hemmende Zinsanträge gestellt werden, denn ein Zinsanspruch muss vor Eintritt einer möglichen Verjährung beim zuständigen Hauptzollamt geltend gemacht werden. Anderenfalls kann nach Eintritt einer Verjährung, trotz eines möglicherweise bestehenden Zinsanspruchs, dieser nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden.