06.09.2022 08:41 Alter: 2 yrs
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Almuth Barkam

Zinsen auf erstattete Zollabgaben

Endlich ist sie erfolgt – die Klarstellung durch den EuGH zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auf erstattete Abgaben!

Seit der Wortmann-Entscheidung des EuGH (18.01.2017 – C-365/15) wird in Verfahren mit den Zollbehörden darum gerungen, ob Zinsen zu zahlen sind in Fällen, in denen Einfuhrabgaben zu Unrecht von Wirtschaftsbeteiligten gezahlt und später durch die Zollbehörden erstattet werden. Der EuGH hatte im Wortmann-Fall eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten bejaht, Einfuhrabgaben ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung bis zum Zeitpunkt der Erstattung zu verzinsen, wenn diese unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben wurden. Klare Sache – so mochte man meinen!

Tatsächlich haben die Zollbehörden entsprechende Zinsanträge regelmäßig abgelehnt unter Verweis darauf, dass die Wortmann-Entscheidung den speziellen Fall eines Rechtsetzungsfehlers betreffe, da in diesem Fall die Erstattung darauf beruhe, dass eine Antidumping-Verordnung für ungültig erklärt worden sei. Nun hat der EuGH mit seiner Entscheidung vom 28.04.2022 in der verbundenen Rechtssache dreier Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg (C-415/20, C-419/20 und C-427/20)
die lang ersehnte Klarstellung vorgenommen.

In allen drei Fallgestaltungen beruhte die Erstattung der Abgaben auf Rechtsanwendungsfehlern:

In dem Verfahren C-415/20 gewährte das Hauptzollamt Hamburg aufgrund einer EuGH-Entscheidung dem klagenden Unternehmen die von dem Unternehmen beantragten Ausfuhrerstattungen sowie die gegen das Unternehmen verhängte Geldbuße. Die vom Unternehmen beantragte Zahlung von Zinsen für die Ausfuhrerstattungen und die finanzielle Sanktion für alle Zeiträume, in denen ihr rechtswidrig die Möglichkeit vorenthalten worden sei, über die entsprechenden Geldbeträge zu verfügen, lehnte das HZA Hamburg ab.

Im Fall der Rechtssache C-419/20 entschied das Finanzgericht Hamburg, dass die dem klagenden Unternehmen auferlegten Antidumpingzölle gesetzlich nicht geschuldet seien, da das Hauptzollamt Hamburg nicht nachgewiesen habe, dass die in die Union eingeführten Verbindungselemente ihren Ursprung in China hätten. Im Mai 2019 erstattete das Hauptzollamt Hamburg die betreffenden Antidumpingzölle. Die Zahlung von Zinsen hierauf für die Zeit ab der Entrichtung der Antidumpingzölle bis zu ihrer Erstattung lehnte es jedoch ab.

Die Frage der Einreihung von importierten Bolzenhaken war Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens in der Rechtssache C-427/20. Das Hauptzollamt Kiel war der Auffassung, diese Bolzenhaken seien in eine andere als die vom Unternehmen angemeldete Position der Kombinierten Nomenklatur einzureihen mit einem höheren Einfuhrzollsatz. Das Unternehmen klagte gegen die Festsetzung des höheren Einfuhrabgabenbetrags. Der BFH bestätigte im Jahr 2017 die Einreihungsauffassung des klagenden Unternehmens. Daraufhin erstattete das HZA Kiel den Differenzbetrag zwischen den ursprünglich entrichteten Einfuhrabgaben und dem später geänderten Betrag. Den Antrag auf Verzinsung des gezahlten Differenzbetrags für den Zeitraum ab der Entrichtung der Abgaben bis zu ihrer teilweisen Erstattung lehnte das Hauptzollamt jedoch ab.

Das FG Hamburg wollte mit seinen Vorlagefragen – vereinfacht ausgedrückt – wissen, ob in diesen Fällen der vom EuGH entwickelte unionsrechtliche Zinsanspruch gegeben sei.

Entscheidung des EuGH

Der Gerichtshof stellt zum einen fest, dass der "Verwaltungsunterworfene", den eine nationale Behörde zur Entrichtung einer Gebühr, eines Zolles, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen habe, nach dem Unionsrecht einen Anspruch gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Erstattung des entsprechenden (zu Unrecht erhobenen) Betrags habe. Ein solcher Verstoß könne sich auf jede Regel des Unionsrechts beziehen, sei es eine Bestimmung des Primäroder des Sekundärrechts.

Überdies habe der Betroffene in einem solchen Fall nach dem Unionsrecht einen Anspruch gegen den Mitgliedstaat auf Zahlung von Zinsen, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrags auszugleichen. Der Anspruch auf Erstattung von Geldbeträgen, die ein Mitgliedstaat von einem "Verwaltungsunterworfenen" unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben habe und der Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf diese Beträge seien Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge.

Ein Zinsanspruch sei auch gegeben im Fall von Ausfuhrerstattungen, die einem Antragsteller von der zuständigen nationalen Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht zunächst versagt und sodann verspätet gezahlt worden seien. Ebenso stünden dem Betroffenen Erstattungs- und Zinsansprüche zu im Fall einer finanziellen Sanktion, die zu Unrecht bei der Anwendung eines Unionsrechtsakts verhängt worden sei. Auch in diesem Fall sei die Nichtverfügbarkeit des Geldes auszugleichen.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass der Anspruch auf Erstattung und auf Zahlung von Zinsen nicht auf bestimmte Unionsrechtsverstöße beschränkt und nicht bei bestimmten Unionsrechtsverstößen ausgeschlossen sei. Die Ansprüche sind nach Auffassung des EuGH nicht auf den Fall beschränkt, dass Abgaben auf Grundlage eines Unionsrechtsakts, der sich als rechtswidrig erweist, erhoben worden sind, sondern gelten auch in Fallkonstellationen, in denen die Behörde einen Unionsrechtsakt oder eine nationale Regelung zur Umsetzung eines Unionsrechtsakts unzutreffend angewendet hat.

Die drei Konstellationen, die das FG Hamburg dem EuGH vorgelegt hatte, betreffen auch nach Auffassung des EuGH den Fall der unzutreffenden Anwendung von Unionsrecht. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehe hervor, dass die nationalen Gerichte in Fällen dieser Art über Ansprüche auf Erstattung und Zinsen entscheiden dürften.

Fazit

Der EuGH betont in seiner Entscheidung sehr deutlich, dass der Zinsanspruch dazu dient, dem Betroffenen die Nichtverfügbarkeit des zu Unrecht vorenthaltenen Geldes auszugleichen. Die zu zahlenden Zinsen müssen deshalb den Gesamtzeitraum abdecken, der - je nach Lage des Falls - zwischen dem Tag, an dem der Betroffene den fraglichen Geldbetrag entrichtet hat oder hätte erhalten sollen und dem Tag liegt, an dem dieser ihm erstattet oder an ihn entrichtet wurde. Der Zweck des Ausgleichs der Nichtverfügbarkeit des Geldes ging schon aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH hervor und wurde von uns in den Verfahren, in denen wir für unsere Mandanten Zinsansprüche geltend gemacht haben, vorgetragen. Die Verwaltung hat dies bislang nicht anerkannt. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist die Richtung aus unserer Sicht klar vorgegeben. Nunmehr ist klargestellt, dass der unionsrechtliche Zinsanspruch auch in Fällen fehlerhafter Rechtsanwendung gilt. Der EuGH ist nicht so weit gegangen, die nationalen Behörden in Fällen dieser Art verpflichtet zu sehen, von Amts wegen Geldbeträge zu erstatten oder Zinsen zu Zahlen. Auch hat er es dem nationalen Gericht, also dem FG Hamburg, überlassen, zu entscheiden, wie der Fall zu bewerten ist, in dem die Klägerin zwar Einspruch eingelegt, jedoch keine Klage erhoben hat. Unter  Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin hat der EuGH jedoch deutlich gemacht, dass er keine Anhaltspunkte sehe, die es rechtfertigen würden, einen Zinsanspruch deshalb zu versagen, weil kein gerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde. Eine wegweisende Entscheidung und ein Segen, dass das FG Hamburg diese Klarstellung des EuGH zu Fällen fehlerhafter Rechtsanwendung erwirkt hat, auch wenn der Zweck des unionsrechtlichen Zinsanspruchs, die unberechtigte Nichtverfügbarkeit des Geldes auszugleichen, schon nach der bisherigen EuGHRechtsprechung klar war!