03.08.2023 09:32 Alter: 274 days
Kategorie: Außenwirtschaft
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinski

Sanktionen gegen Russland - Enteignung russischer Vermögenswerte

Dürfen russische Vermögenswerte, die von der EU bisher eingefroren wurden aufgrund der Russland-Sanktionen, verwendet werden zum Wiederaufbau der Ukraine?

Im Anschluss an das 11. Sanktionpaket im Juni hat Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin, erneut angeregt, das bisher eingefrorene russische Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Eingefroren wurden bisher Devisenreserven der russischen Zentralbank im Wert von mehr als 300 Milliarden Euro, außerdem noch 19 Milliarden Euro aus russischem Privatvermögen. Sie konnten rechtmäßig eingefroren werden aufgrund von EU-VO 833/2014. Momentan rechnet man mit Wiederaufbaukosten für die Ukraine von 600 Milliarden Euro.

Dieser Ansatz ist aus dem Bauch heraus zunächst mal zu begrüßen. Wer würde nicht damit sympathisieren? Aber er birgt juristisch und politisch mehrere Probleme.

Juristisch steht das Prinzip der Staatenimmunität, ein ganz alter Bestandteil aus dem Völkergewohnheitsrecht, dagegen. Souveräne Staaten dürfen nicht über einen anderen Staat zu Gericht sitzen.

Das Einfrieren der Gelder ist erlaubt im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kann die Union "die Aussetzung oder Einschränkung der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten vorsehen". Dies hat der Rat mit seinen Sanktionen gegen Russland beschlossen. Danach darf er restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen und Vereinigungen oder nichtstaatliche Einrichtungen nach Art. 215 Abs. 2 AEUV ergreifen. Zu diesen restriktiven Maßnahmen zählt auch das Einfrieren von russischem Vermögen von Privaten wie vom Staat.

Umgekehrt hat auch Russland bereits einige Firmen oder Firmenanteile von europäischen Firmen unter russische Zwangsverwaltung per Präsidentendekret gebracht.

Für eine Beschlagnahme oder Konfiszierung der russischen Zentralbankguthaben oder anderer Vermögen gibt es bisher keine Rechtsgrundlage im internationalen öffentlichen Recht. Sie wären als Gegenmaßnahme zum russischen Angriffskrieg juristisch momentan nicht gerechtfertigt.

Nur in Einzelfällen, wenn nachweislich eine Straftat dem Vermögen zugrundeliegt, kann eine strafrechtliche Einziehung erfolgen. Dafür bedarf es einer strafrechtlichen Verurteilung oder zumindest die Überzeugung eines Gerichts, dass alle Elemente einer bestimmten Straftat oder zumindest eine Verbindung zu einer kriminellen Tätigkeit vorliegen.

Wenn die EU hier "neue Wege" sucht, bleibt es schwierig, ob das mit den grundsätzlichen Rechtsprinzipien der EU wie der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte, die jedem unabhängig von seiner Herkunft zustehen, vereinbar ist.

Politisch darf nicht übergangen werden, dass jeder nicht rechtstaatliche Umgang mit dem eingefrorenen Geld andere Staat inspirieren könnte, Eigentum von EU-Bürgern an sich zu reißen.

Umfangreiche Hintergründe zu diesem Themenbereich finden Sie in dem englischsprachigen Aufsatz: EU Sanctions against Russia and the Rule of Law. EU Sanctions against Russia and the Rule of Law