01.02.2022 08:55 Alter: 2 yrs
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinski

Die Verwertbarkeit vor deutschen Gerichten von Anom-Chats aus einem Kryptodienst des FBI

Der Entscheidung des LG Frankfurts liegt ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen Betreiber von drei Cannabisplantagen in Deutschland zu Grunde, dem der bandenmäßige Handel mit Betäubungsmitteln zur Last gelegt wird. Die belastenden Informationen ergeben sich aus Anom-Chats, eines Kryptodienstes, den das FBI nach eigenen Angaben selbst auf den Markt gebracht hat und fast drei Jahre betrieb, um so weltweit kriminelle Organisationen in die Falle zu locken und zu überwachen.

Der Server stand in einem Drittland, die Daten gelangten über Rechtshilfe erst in die USA und dann nach Deutschland. (Näheres zur Entwicklung und Etablierung des Kryptodienstes in FAZ: „Organisierte Kriminalität in der Falle“ von David Klaubert.)
Der Angeklagte legte ein Geständnis ab und beschuldigte auch Lieferanten und Abnehmer. So spielte die Frage nach der Verwertbarkeit der entschlüsselten Anom-Nachrichten in diesem Verfahren nur eine untergeordnete Rolle. Das Gericht sieht keinen Raum für ein Beweisverwertungsverbot.
 
Im deutschen Strafverfahrensrecht gibt es keinen allgemein geltenden Grundsatz, nach dem jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2008 – 2 BvR 784/08). Die Strafprozessordnung darf nicht der Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ dienen, aber die Annahme eines Verwertungsverbotes  schränkt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutenden Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1972 – 2 BvL 7/71 –, BVerfGE 33, 367, 383). Ein Beweisverwertungsverbot stellt also eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 1994 – 1 StR 83/94. Insbesondere kann das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 455/03 .)
 
Zum einen erlaube § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im Grundsatz und unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung und Verwertung von Daten aus dem Ausland zur Aufklärung von Straftaten, aufgrund derer Überwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100a, b StPO hätten angeordnet werden können.
Weiter dürfen Kommunikationsdaten aus dem Ausland verwendet werden, ohne dass eine grundsätzliche Pflicht zur Überprüfung Rechtmäßigkeit der Datenerhebung im Ausland bestehe. Verwiesen wird auf Beschlüsse zu den EnchroChat-Verfahren z.B. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 – 1 WS 2/21 - 7 OBL 3/21, dass Beweisverwertungsverbote nur in Ausnahmefällen griffen, etwa wenn bei der Erhebung von Beweisen im Ausland Grundrechte verletzt oder gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze verstoßen worden sei, also die erforderliche Rechtswidrigkeit bei der Informationserlangung oder -weitergabe kann sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich sowohl aus der Rechtswidrigkeit der im Ausland vorgenommenen Maßnahme als auch der Rechtswidrigkeit des grenzüberschreitenden Datentransfers selbst ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12 .

Die folgenden Grundsätze wurden für die Beweisverwertung in den EnchroChat-Verfahren aufgestellt:

  1. Ein zu einem Beweisverwertungsverbot führender Verstoß gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung liegt nicht vor (§ 73 Satz 1 IRG). Eine vollständige Überprüfbarkeit der Beweiserhebung von deutschen Gerichten liegt nicht vor ohne deutsches Rechtshilfeersuchen. Insbesondere von Bedeutung war hier, dass die verwerteten Daten nicht alle aus einzelnen Strafverfahren mit im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (Art. 10 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), die eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Geschehens und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07). Dass in Frankreich angeordnete und gerichtlich beschlossene Ermittlungsmaßnahmen, verfolgte nicht in jedem Einzelfall einen konkret gegen bestimmte Personen begründeten Verdacht der Begehung schwerwiegender Straftaten. Was in Deutschland so nicht hätte veranlasst werden dürfen. Für jede einzelne der in Deutschland zur Anklage gebrachten Taten, hätte aber aufgrund ihrer Schwere das Abhören angeordnet werden können und die Daten verwendet werden dürfen nach § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO.
  2. Ein Verbot der Beweisverwertung ergibt sich auch nicht aufgrund von Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Überwachung der Telekommunikation sowie zur Informationsübermittlung.
  3. Die Frage der Datenauthentizität muss im Rahmen der Beweiswürdigung geklärt sein, bezogen auf den Nachweis der Urheberschaft der Daten und darüber hinaus muss belegt werden, dass die Kommunikationsinhalte und Standortdaten zu beweiserheblichen Umständen nicht durch Übertragungsfehler oder Manipulationen verändert und verfälscht worden sind (Datenintegrität).

Eine direkte Übernahme der Wertung aus der Entscheidung aus den EnchroChat-Verfahren kann hier aber nicht in Betracht kommen, da es sich nicht um europäische Ermittlungen und der Auswertung eines europäischen Servers handelt und die Verwendung von Daten die sich als Zufallsfunde für weitere Strafverfahren ergeben haben. Diese Daten von den Anom-Handys, die vom FBI extra für das Ausspionieren von Kriminellen in Umlauf gebracht und vertrieben wurden, stellen auch keine Zufallsfunde dar. Die Daten lagen zunächst auf einem Server in einem Drittland und durften in den USA nicht gegen Bürger der USA verwendet werden, weil es auch dort nicht rechtstaatlichen Methoden der Strafermittlung entspricht.

Fazit:

Für Fälle von organisierter Kriminalität dürfen die Grundrechte aus Art. 10 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingeschränkt werden, zum Schutz anderer Rechtsgüter. Der Katalog, der eine Handy-Überwachung als Ermittlungsoption in der Strafverfolgung zulässt, ist lang aber abschließend in § 100 a StPO geregelt. Auch großartige Ermittlungserfolge dürfen nicht über den Weg der Datenbeschaffung hinwegtäuschen. Die Datenauswertung kann nur zur Verurteilung der Straftäter führen, wenn sie auf rechtstaatlichen zulässigen Methoden beruht, sonst beginnen wir unseren Grundrechtsschutz in der Strafverfolgung vom Ergebnis her auszuhöhlen. Insofern muss auch bei den weiteren Prozessen genau aufgeschlüsselt werden, wie die Daten erhoben wurden, das gilt insbesondere bei Auslandsbezug.