18.07.2023 09:47 Alter: 292 days
Kategorie: Steuern
Von: Rechtsanwältin Frederike Helmert

EuGH: Mehrwertsteuerpflicht von Online-Plattformen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem aktuellen Urteil in der Rechtssache Fenix International Ltd. (EuGH, Urteil v. 28.02.2023 - C-695/20) eine klarstellende Entscheidung zu der Frage der Mehrwertsteuerpflicht von Online-Plattformbetreibern erlassen.

Der EuGH entschied in diesem Fall, dass eine Leistungskommission vorliegt. Der Entscheidung liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Fenix International Ltd. ist eine für Mehrwertsteuerzwecke im Vereinigten Königreich registrierte Gesellschaft. Sie betreibt die Internetplattform „Onlyfans“. Diese Plattform für ein soziales Netzwerk wird „Nutzern“ auf der ganzen Welt angeboten, die in „Gestalter“ und „Fans“ unterteilt sind. „Gestalter“ verfügen über ein „Profil“, auf das dieser Inhalte wie Fotos, Videos und Nachrichten hochlädt und die „Fans“ können auf diese Inhalte zugreifen. Die "Fans" leisten dazu Zahlungen punktuell oder in einem Abonnement. Zusätzlich können sie "Trinkgelder" oder Spenden leisten, für die sie im Gegensatz keine Leistung in Form von Inhalten erhalten. Die Fenix International Ltd stellt nicht nur die Plattform zur Verfügung, sondern auch die Anwendung, die die Finanztransaktion ermöglicht. Sie organisiert die Verteilung der von den "Fans" geleisteten Zahlungen und legt auch die allgemeinen Nutzungsbedingungen fest. Der Betreiber behält 20% aller Beiträge, die an einen "Gestalter" gezahlt werden, ein und stellt diesem den entsprechenden Betrag als Gebühr für die Nutzung des Portals in Rechnung. Auf diesen Betrag erhebt er Mehrwertsteuer zu einem Satz von 20%, die in den von ihm ausgestellten Rechnungen ausgewiesen ist.

Der Betreiber ging dabei davon aus, dass eine Leistung direkt an die Gestalter vorliegt. Diese würden wiederrum eine Dienstleistung direkt an die "Fans" erbringen, die mit der gesamtem monatlichen Abonnementgebühr vergütet werde. Die britische Steuer- und Zollverwaltung erlies jedoch im April 2020 Mehrwertsteuerbescheide über die Mehrwertsteuer, die für die Monate Juli 2017 – Januar 202 sowie April 2020 zu entrichten war, und vertrat dabei die Auffassung, dass der Betreiber im Sinne von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 (MwSt-DVO) als im eigenen Namen tätig anzusehen sei, es sich folglich um eine Dienstleistungskommission handele. Daher müsse der Betreiber die Mehrwertsteuer auf den gesamten von einem Fan erhaltenen Betrag abführen und nicht nur auf die 20% dieses Betrages, die sie als Vergütung einbehalte. Der Betreiber wendet sich gegen diese Bescheide und macht geltend, dass Art. 9a MwSt-DVO den Art. 28 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) ändere und/oder ergänze, indem er ihm neue Regeln hinzuführe. Art. 9a gehe nämlich über Art. 28 MwStSystRL hinaus, indem er vorsehe, dass der Auftragnehmer, der sich an einer elektronischen Dienstleistung beteilige, als Empfänger und Erbringer dieser Dienstleistungen gelte, obwohl die Identität des Leistungserbringers, der der Auftraggeber sei, bekannt sei. Dieser Art. 9a MwSt- DVO überschreite daher die dem Rat übertragenen Durchführungsbefugnisse. Das britische Finanzgericht der ersten Instanz, First-tier Tribunal, hegte Zweifel an der Gültigkeit von Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO und wandte sich folglich an den EuGH mit der Frage, ob der Rat seine Befugnisse überschritten hat, indem er Art. 28 der MwStSystRL ergänzt hat.

Der EuGH bestätigt durch sein Urteil die formelle Rechtsgültigkeit von Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO. Er führt aus, dass die Bestimmung des Art. 9a Abs. 1 als eine bloße Präzisierung des Inhalts von Art. 28 anzusehen ist und ihn nicht ändert oder ergänzt. Zudem stellt der EuGH fest, dass die in Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO enthaltene Vermutung voll und ganz der Logik entspricht, die Art. 28 der MwStSystRL zugrunde liegt. Daraus folgt folglich, dass der Rat der EU seine Kompetenz nach Art. 397 der MwStSystRL nicht überschritten hat. Im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit sieht der EuGH keine Bedenken gegen die Anwendung der Leistungskettenfiktion des Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO i.V.m. Art. 28 MwStSystRL. Er führt aus, dass bei Dienstleitungen, die elektronisch über ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, stets davon ausgegangen wird, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistung tätig ist, so dass er selbst als Erbringer dieser Dienstleistungen gilt, wenn er die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert, die Erbringung der Dienstleistung genehmigt oder die allgemeine Bedingung der Erbringung festlegt. Der Rat habe bei Erlass von Art. 9a Abs. 1 MwSt-DVO die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Umsätze im spezifischen Kontext der Erbringung von elektronisch über ein Portal erbrachten Dienstleistungen berücksichtigt, so wie Art. 28 der MwStSystRL es verlangt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass die Nutzer von Onlyfans oder vergleichbaren Internetplattformen prüfen sollten, ob ihnen ggf. die Möglichkeit von Erstattungsanträgen offensteht, sollten sie in der Vergangenheit Umsatzsteuer abgeführt haben, sei es deutsche oder ausländische. Anhand des Urteils des EuGH lässt sich argumentieren, dass die Nutzer eine B2B Dienstleistung nach § 3a Abs. 2 UStG erbringen. Sofern die Plattform dann im Ausland seinen Sitz hat, sind die Umsätze im Inland nicht steuerbar. Gleichzeitig führt die Entscheidung auf Seiten des Plattformbetreibers zu weitreichenden Pflichten. Er muss für jeden Einzelfall prüfen, wo der Leistungsort anzusehen ist und daraus folgend, ob Umsatzsteuer abzuführen ist. Daraus folgt eine Vielzahl von Anschlussfragen, wie etwa die Frage, ob man sich im Ausland umsatzsteuerlich registrieren muss.

Sollte dieser Problemkreis für ihr Unternehmen relevant sein, sprechen Sie uns gerne an, damit wir die relevanten Fragestellungen klären können.