24.11.2022 13:06 Alter: 1 year
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Julia Gnielinski

Antidumping bei Solarpanels:

Der BGH schließt Steuerhinterziehung, banden- und gewerbsmäßigen Schmuggel nicht aus

I. Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 6. September 2022 - 1 StR 389/21 vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG mit der Wirkung von verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen auseinandergesetzt. Zudem ging er auf die Frage ein, wann ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil im Sinne von § 370 AO vorliegt.

II.    Den Angeklagten war Steuerhinterziehung, gewerbs- und bandenmäßiger Schmuggel, Steuerhehlerei und Beihilfe zu den genannten Taten vorgeworfen worden. Die S. Ltd mit Sitz in China gehörte zu den Unternehmen, die zur Vermeidung von Antidumping- und Ausgleichszöllen auf die Einfuhr von ihr hergestellter Photovoltaikmodule ein Verpflichtungsangebot abgegeben hatten, das die Kommission mit Beschluss 2013/423/EU und mit Durchführungsbeschluss 2013/707/EU angenommen hatte. In ihrem Verpflichtungsangebot hatte die S. versichert, dass der Nettoverkaufspreis bei Verkäufen an ein verbundenes Unternehmen in der Europäischen Union nach Abzug gezahlter Kommissionen und direkter oder indirekter Nachlässe, Rabatte oder anderweitig gewährter Vorteile innerhalb oder über dem vereinbarten Mindesteinfuhrpreis liege und dass der Weiterverkaufspreis des verbundenen Unternehmens in der Europäischen Union an den ersten unabhängigen Kunden nach Abzug sämtlicher gewährter direkter oder  aufgeschobener Rabatte, Vergünstigungen oder zugesagter Rückgewährung über dem um einen Aufschlag für Vertriebsgemeinkosten und um einen Gewinnaufschlag erhöhten Mindesteinfuhrpreis liege.

S. Ltd. war die alleinige Gesellschafterin der Su. GmbH und damit als 100-prozentige Tochter ein verbundenes Unternehmen im Sinne der Verpflichtung und im Anhang XI der Verpflichtung als verbundenes Unternehmen der S. genannt. Die Su. GmbH importierte Solarmodule, die ausschließlich durch S. aus China geliefert wurden.

Die Angeklagten und weitere Personen schlossen sich zusammen, um Solarmodule aus China unter Vorlage unzutreffender Verpflichtungsrechnungen und Ausfuhrverpflichtungsbescheinigungen vorgeblich zum vereinbarten Mindesteinfuhrpreis in das Gebiet der Europäischen Union einzuführen, diese zu einem über dem Mindesteinfuhrpreis liegenden Verkaufspreis an den ersten unabhängigen Kunden zu verkaufen und dadurch eine Befreiung von den Antidumping- und Ausgleichszöllen zu erreichen. Tatsächlich sollten die Module unterhalb des Mindesteinfuhrpreises an unabhängige Abnehmer in der Europäischen Union verkauft werden.

In den im Namen von Su. abgegebenen Zollanmeldungen wurde daher nicht der unter dem Mindesteinfuhrpreis liegende tatsächliche Einfuhrpreis angegeben; vielmehr wurde der Zollwert überhöht angemeldet und durch Vorlage inhaltlich unzutreffender Verpflichtungsrechnungen und Ausfuhrverpflichtungsbescheinigungen ein Bezug der Solarmodule zum Mindesteinfuhrpreis und der beabsichtigte Weiterverkauf an einen ersten unabhängigen Kunden zu einem um die Vertriebsgemeinkosten und einen Gewinnaufschlag erhöhten Mindesteinfuhrpreis vorgespiegelt. Die überhöhten Verkaufspreise sollten entweder von vornherein nicht vollständig gezahlt oder später zurückgezahlt („Kick-back“) werden.

Laut Anklageschrift wurden so von Dezember 2013 bis zum Juli 2017 Antidumping- und Ausgleichszölle in Höhe von insgesamt 21.060.140,36 Euro hinterzogen.

Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung, des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels, der Steuerhehlerei und der Beihilfe zu den genannten Taten ohne Beweisaufnahme aus rechtlichen Gründen freigesprochen und auf Entschädigungen für Strafverfolgungsmaßnahmen erkannt.

Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen.

1. Fraglich war, inwiefern die Verpflichtung am Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen ist. Das Landgericht hat angenommen, die Kenntnis des Mindesteinfuhrpreises im Verpflichtungsangebot sei von entscheidender Bedeutung für die Strafbarkeit der Angeklagten. Die Verpflichtung sei jedoch ein vertrauliches Dokument, das weder in einem Amtsblatt noch sonst veröffentlicht ist. Es wäre lediglich möglich, als „interessierte Partei“ eine nicht vertrauliche Fassung einzusehen, die den Mindesteinfuhrpreis nicht enthalte. Damit sei es den Angeklagten nicht möglich gewesen, von einer wesentlichen Strafbarkeitsandrohung aus offiziellen Quellen Kenntnis zu erlangen. Darüber hinaus habe die Strafkammer Bedenken, ob Art. 3 Abs. 2a der DVO-Nr. 1238/2013 mit den Regelungen der VO-Nr. 1225/2009 vereinbar sei, mithin überhaupt eine Zollschuld habe entstehen können. Es sei zumindest zweifelhaft, ob die Annahme, es sei durch die unterbliebene Festsetzung von Antidumping- und Ausgleichszöllen zu einer Steuerverkürzung gekommen, mit der VO (EG) Nr. 1225/2009 vom 30. November 2009 (ABl. L 343/51), der VO (EU) 2016/1036 vom 8. Juni 2016 (ABl. L 176/21), der VO (EG) Nr. 597/2009 vom 11. Juni 2009 (ABl. L 188/93) und der VO (EU) 2016/1037 vom 8. Juni 2016 (ABl. L 176/55) vereinbar sei.

Der BGH hat ausgeführt, dass nach eindeutigem Wortlaut der einschlägigen Durchführungsverordnungen bei der Anmeldung der Überführung der Solarmodule in den freien Verkehr jeweils eine Zollschuld entstand. Durch die unrichtigen Angaben wurde verhindert, dass die Zollbehörden eine Zollschuld festsetzen konnten und auf diese Weise Steuern verkürzt, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Bei den Antidumping und Ausgleichzöllen handelt es sich um Schutzzölle und somit um Einfuhrabgaben i.S.v. Art. 5 Nr. 20 UZK, die vom Schutz des § 370 AO umfasst sind.

Zwar kam für die eingeführten Solarmodule grundsätzlich eine Zollbefreiung in Betracht, weil die S Ltd im fraglichen Zeitraum im Anhang des Durchführungsbeschlusses 2013/707/EU aufgeführt war. Gleichwohl entstand bei den Einfuhren der Module jeweils eine Zollschuld, weil die vorgelegten Verpflichtungsrechnungen nicht wie erforderlich den tatsächlichen Kaufpreis auswiesen. Die formal ausgewiesenen Scheinpreise wurden von vornherein nicht bezahlt oder sollten später teilweise zurückgezahlt werden. Die angegebenen höheren Preise stellten somit ein Scheingeschäft dar, das gem. § 41 Abs. 2 AO nach den Regeln des verdeckten Rechtsgeschäfts besteuert wird. Laut Durchführungsverordnung sind Preisnachlässe in jedem Fall offenzulegen. Indem die Angeklagten sich auf inhaltlich fehlerhafte Rechnungen bezogen haben, machten sie unrichtige Angaben.

Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes entfalte bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen die Verwaltungsentscheidung grundsätzlich Tatbestandswirkung. Es komme allein auf die formelle Wirksamkeit der Entscheidung, nicht auf ihre materielle Rechtmäßigkeit an. Es sei daher irrelevant, ob die S. Ltd zu Recht im Anhang des Durchführungsbeschlusses genannt war.

Die für den Fall maßgeblichen Rechtsakte genügen dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot, da sie als Rechtsakte der Europäischen Union amtlich veröffentlicht sind.

Die Veröffentlichung der Mindestpreise sei dagegen vom Bestimmtheitsgrundsatz nicht gefordert. Bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen liege kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vor, weil der in Bezug genommene Verwaltungsakt nicht veröffentlicht ist. Das folge schon daraus, dass ein Verwaltungsakt kein Gesetz ist. Die Bezugnahme auf einen Veraltungsakt führe daher nicht zu einem Blanketttatbestand, bei dem der ausfüllende Verwaltungsakt seinerseits am Bestimmtheitsgrundsatz zu messen wäre. Der BGH verweist insoweit auch auf die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329; BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105, Rn. 8 ff.; BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 StR 289/20, BGHSt 65, 257, Rn. 49 ff.)

Dem Zweck des Bestimmtheitsgebots laufe das nicht zuwider, weil jeder die Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Vorfrage im Vorfeld aufklären oder von seinem Vorhaben Abstand nehmen kann.

Der Bestimmtheitsgrundsatz bedeute insofern nur, dass Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen allgemein hinreichend genau beschrieben sein müssen, nicht aber, dass eine Subsumtion im Einzelfall anhand öffentlich zugänglicher Informationen möglich sein muss.

Das Verpflichtungsangebot und dessen Annahme wären nach den Maßstäben des deutschen Rechts ein öffentlicher Vertrag und ersetzten einen Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung (§ 118 Satz 2 AO).

2. Ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil iSv § 370 AO liege nach der in neuerer Zeit vertretenen Auffassung vor, wenn ein inhaltlich unrichtiger Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO) führt, da die Bindungswirkung als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) für die Einkommensteuerfestsetzung ein Vorteil spezifisch steuerlicher Art sei, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruhe (grundlegend BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99, Rn. 21 ff.).

Dies sei durch die Annahme des Verpflichtungsangebots durch die Kommission sowie die Listung in der Anlage zum Durchführungsbeschluss erfüllt.

Die Listung beruhte auf einem Tätigwerden der Kommission als Finanzbehörde und habe es der Su GmbH ermöglicht, zollbefreite Solarmodule einzuführen. Darin sei ein steuerlicher Vorteil zu sehen, der nicht gerechtfertigt gewesen ist. Dies folge daraus, dass entweder schon die Voraussetzungen für die Annahme der Verpflichtung und Listung nicht vorgelegen oder die Voraussetzungen für einen Widerruf (Art. 8 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009) vorgelegen hätten.

Der BGH hat das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Nürnberg-Fürth zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschafts-strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.