23.04.2024 09:53 Alter: 10 days
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwalt Heiko Panke

EuGH-Urteil zum Ort des Entstehens der Einfuhrmehrwertsteuer

EuGH Urteil zum Ort des Entstehens der Einfuhrmehrwertsteuer - Nationale Bestimmung, die auf das Zollrecht der Union verweist – Grenzen der Fiktionsbestimmung des UZK

Der EuGH hat in einem Urteil vom 18.01.2024 – (Rs. C-791/22) zum Verhältnis der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) in Bezug zum Zollrecht entschieden. Im zu entscheidenden Fall ging es um die die entsprechende Anwendung einer sog. zollrechtlichen Zuständigkeitsfiktion nach Art. 215 Abs. 4 ZK (heute: Art. 87 Abs. 4 UZK) auf die Bestimmung des Einfuhrorts bei der Einfuhrumsatzsteuer.


Hintergrund:

Im Falle der Feststellung eines zollrechtlichen Verstoßes verlagert Art. 87 Abs. 4 UZK im Wege einer Fiktion den Ort der Zollschuldentstehung in den Mitgliedstaat, in dem der zollrechtliche Verstoß festgestellt wurde.

Grundsätzlich folgt die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer der Zollschuld, was in Deutschland über § 21 Abs. 2 UStG geregelt wird, allerdings ohne in dieser Norm eine eigene umsatzsteuerliche Ortsbestimmung vorzunehmen. Es werden zudem auch nicht die Fälle erfasst, bei denen die Entstehung einer Zollschuld in einem anderen Mitgliedstaat unentdeckt geblieben ist. In letzteren Fällen ist fraglich, ob sich die Entstehung sinngemäß aus § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG ergibt und ob die Anwendung der zollrechtlichen Bestimmungen auf die Einfuhrumsatzsteuer bei einer nachträglichen Entdeckung in einem anderen Mitgliedstaat als dem tatsächlichen Einfuhrstaat gegen die MwStSystRL verstößt.

Der Sachverhalt und das Vorverfahren
Der Kläger, der in Polen wohnhaft war, erwarb im Jahr 2012 auf einem Markt in Polen 43.760 Zigaretten, die nur mit ukrainischen und belarussischen Steuerbanderolen versehen waren. Er verbrachte die Zigaretten, ohne Zollbehörden darüber zu informieren, in die Nähe von Braunschweig und übergab sie dort an einen deutschen Käufer (sog. „Schmuggelfall“). Dabei wurde er festgenommen, die Zigaretten wurden sichergestellt und sie wurden später vernichtet.

Das Hauptzollamt Braunschweig befand, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden seien und dass daher gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex (heute: Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK) die Zollschuld in Deutschland (dem Land der Entdeckung – vgl. heute: Art. 87 Abs. 4 UZK) entstanden sei, deren Schuldner der Kläger sei. Ferner war das Hauptzollamt Braunschweig der Ansicht, dass gemäß § 21 Abs. 2 UStG in Deutschland die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden sei. Daher erließ es einen Umsatzsteuerbescheid über 2.006,38 Euro, gerichtet an den Kläger.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger beim Finanzgericht Hamburg Anfechtungsklage gegen diesen Steuerbescheid.

Das Finanzgericht Hamburg führte in dem Klageverfahren aus, dass in Deutschland keine mehrwertsteuerrechtliche Einfuhr stattgefunden habe, denn der Ort der Einfuhr sei in Polen, da die Zigaretten dort in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt seien. Da es auch um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht ging, legte das Finanzgericht Hamburg dem EuGH den Fall im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zur Klärung vor.

Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH war der Auffassung, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung entgegenstünde, nach der Art. 215 Abs. 4 ZK auf die Einfuhrmehrwertsteuer für die Bestimmung ihres Entstehungsorts entsprechende Anwendung finde. Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL beziehe sich nach seinem Wortlaut nur auf den Zeitpunkt, zu dem der Mehrwertsteuertatbestand und der Mehrwertsteueranspruch einträten. Bezüglich des Einfuhrorts beinhalte die Bestimmung keinen Verweis auf die Zollvorschriften.

Wenn daher im zu entscheidenden Fall der Ort der Zollschuldentstehung aufgrund von Art. 215 Abs. 4 ZK (heute Art. 87 Abs. 4 UZK) zwar in Deutschland liege, gelte dies nicht zwingend auch für die Einfuhrumsatzsteuer, sofern die Ware bereits in einem anderen Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen sei.

Grundsätzlich folge die Einfuhrumsatzsteuer der Zollschuld, dies gelte jedoch nur für den Entstehungszeitpunkt, wobei bei zollrechtlichen Verstößen diese Vermutung auch widerlegbar ist, also der Nachweis geführt werden könne, dass die Ware bereits in einem anderen Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sei.

Der EuGH wies in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz steuerlicher Territorialität in Bezug auf die Mehrwertsteuer hin, dem widerspräche, dass in Anwendung von Art. 215 Abs. 4 ZK die Einnahmen Deutschland zuflössen.

Die Einfuhrumsatzsteuer entstand aus Sicht des EuGH damit nicht in Deutschland, nur weil die Zollschuld aufgrund der Zuständigkeitsfiktion in Deutschland entstanden sein sollte, sondern in Polen.

P
raktische Auswirkungen des Urteils
Grundsätzlich folgt die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer der Zollschuldentstehung. Neben der Entstehung der Zollschuld entsteht aufgrund eines zollrechtlichen Fehlverhaltens daher auch eine Einfuhrumsatzsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem die Zollschuld entstanden ist, wenn die Ware auch dort in den Wirtschaftskreislauf der Europäischen Union eingegangen ist.

Die Vermutung der Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem die zollschuldentstehende Handlung begangen wurde, kann jedoch widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass ein Gegenstand trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall tritt der Tatbestand der Einfuhrmehrwertsteuer in dem anderen Mitgliedstaat ein.

Verlagert sich diese Zollschuld allerdings nur aufgrund der Zuständigkeitsfiktion des Art. 87 Abs. 4 UZK nach Deutschland, ist für die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer entscheidend, wo die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist. Der Ort der Entstehung der Zollschuld und der Einfuhrumsatzsteuer können daher auseinanderfallen.

Auch wenn die Entscheidung noch zum alten Recht erging (Art. 215 Abs. 4 ZK), ist dies auch für die Nachfolgerregelung (Art. 87 Abs. 4 UZK) relevant. Diese ist bis auf den höheren Schwellenwert (10.000 €) identisch geblieben.