17.07.2023 11:32 Alter: 293 days
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Almuth Barkam

Europäischer Richtlinienentwurf über Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Lieferketten nimmt wichtige Hürde im Gesetzgebungsverfahren

Am Ende war das Ergebnis doch überraschend! In den Tagen vor der Abstimmung des EU-Parlaments über den Vorschlag für eine "Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit" wurde in den Medien darüber berichtet, dass eine Gruppe deutscher EU-Parlamentarier aus der EVP-Fraktion gegen den im April gefundenen Kompromiss stimmen wollte, an dem die EVP selbst mitgewirkt hatte. Umso überraschender, dass das EU-Parlament am 01.06.2023 dann doch mit klarer Mehrheit dem Richtlinienvorschlag zugestimmt hat.

Tatsächlich sieht der Entwurf in der nun beschlossenen Fassung (s. Gegenüberstellung unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0209_DE.html) eine Verschärfung gegenüber dem Entwurf der EU-Kommission aus Februar 2022 in der Form vor, dass die Richtlinie nach einer gewissen Übergangszeit auf Unternehmen Anwendung finden soll, die mehr als 250 Beschäftigte haben und einen weltweiten Nettoumsatz von 40 Mio. EUR erzielen. Auch Muttergesellschaften einer Unternehmensgruppe mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 150 Millionen EUR sind nach dem nun beschlossenen Entwurf betroffen.

Im Kommissionsentwurf lagen die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des Gesetzes noch bei 500 Beschäftigten und 150 Mio. EUR Umsatz. Die Grenze von 250 Beschäftigten bei einem Netto-Jahresumsatz von 40 Mio. sollte nach dem ursprünglichen Kommissionsentwurf für Unternehmen aus bestimmten Risikosektoren (Herstellung von Textilien, Land- und Forstwirtschaft etc.) gelten. Die Relevanz bestimmter Risikobranchen spielt im neuen Entwurf keine Rolle mehr.

Wie im Kommissionsentwurf vorgesehen soll die Richtlinie auch für Unternehmen gelten, die nach den Rechtsvorschriften eines Drittlands gegründet wurden, wenn diese mehr als 150 Mio EUR jährlich umsetzen und davon mindestens 40 Mio. EUR in der EU erwirtschaftet wurden. Auch für diese Unternehmen gelten besondere Schwellenwerte für Unternehmensgruppen.

Die Richtlinie sieht – je nach Unternehmensgröße – bestimmte Übergangsfristen für die Anwendbarkeit des Gesetzes von bis zu fünf Jahren vor. Für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden soll sie erst 4 Jahre nach Inkrafttreten bzw. - in begründeten Fällen - nach 5 Jahren gelten.

Weiterhin Bestandteil des Entwurfs sind die Regelungen zur Eindämmung des Klimawandels (Art. 15): Alle vom Gesetz betroffenen Unternehmen sollen einen Übergangsplan ausarbeiten und umsetzen, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übereinkommen von Paris, die Erderwärmung auf 1.5 Grad Celsius zu begrenzen und den Zielen des Europäischen Klimagesetzes (VO (EU) 2021/119), in Einklang steht. Anders als im bisherigen Entwurf werden konkrete Elemente vorgegeben, die ein solcher Plan enthalten muss.

Der Richtlinienentwurf in der vom Parlament verabschiedeten Fassung wird nun dem Rat der Europäischen Union zugeleitet, der diesem zustimmen muss.

Wenn die Richtlinie in dieser Form verabschiedet wird und in Kraft tritt, werden am Ende der Übergangszeit wohl mehr deutsche Unternehmen gesetzlich verpflichtet sein, Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu beachten als dies nach der aktuellen deutschen Regelung, dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), der Fall ist. Der deutsche Gesetzgeber muss die Vorgaben der EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen, d.h., das LkSG wird entsprechend – in einigen Teilen verschärft – angepasst werden.

Neben den bereits beschriebenen Abweichungen beim Anwendungsbereich und Klimaschutz hat die europäische Richtlinie ein weitergehendes Verständnis von der Reichweite der zu betrachtenden Wertschöpfungskette. Der Begriff der Wertschöpfungskette wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf genauer definiert und dadurch gegenüber der ursprünglichen Version etwas entschärft. Nachgelagerte Geschäftsbeziehungen werden nicht mehr ausdrücklich als Teil der Wertschöpfungskette einbezogen. Ebenso wird nicht mehr pauschal auf die Entsorgung eines hergestellten Produkts als pflichtbezogene Tätigkeit verwiesen. Stattdessen sollen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Abfallbewirtschaftung von Produkten eines Unternehmens einbezogen sein mit Ausnahme der Abfallbewirtschaftung des Produkts durch den einzelnen Verbraucher. Insofern wird der befürchteten ausufernden Interpretation des ursprünglich verwendeten Begriffs der "Entsorgung" der Boden entzogen. Dennoch wird es wohl dabei bleiben, dass Tätigkeiten einbezogen werden, die der Herstellungsstufe nachgelagert sind. Nach dem LkSG beziehen sich die gesetzlichen Sorgfaltspflichten "lediglich" auf die Tätigkeiten zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Geschäftsbereich sowie bei unmittelbaren und gegebenenfalls mittelbaren Zulieferern. Die EU-Regelung verwendet nicht den "Zuliefererbegriff", sondern bezieht sich hinsichtlich der zu beachtenden Sorgfaltspflichten auf die Tätigkeiten von Unternehmen in der Wertschöpfungskette, mit denen das Unternehmen eine Geschäftsbeziehung unterhält.  

Viele klein- und mittelständische Unternehmen machen aktuell die Erfahrung, dass sie von Unternehmen, an die Sie liefern, in die Pflicht genommen werden, Sorgfaltspflichten nach dem LkSG zu beachten. Teilweise sollen Lieferantenselbstauskünfte ausgefüllt werden, teilweise Code of Conducts für Lieferanten unterzeichnet werden. Aufgrund dieser Entwicklung müssen sich bereits jetzt viele Unternehmen mit den Pflichten des LkSG vertraut machen. Die aktuelle Entwicklung auf europäischer Ebene zeigt, wo die Reise hingehen wird. Maßnahmen, die aktuell vielleicht als "Pflichtschuldigkeit" gegenüber dem eigenen Kunden empfunden werden, können langfristig gesehen bereits eine gute Vorbereitung sein auf die Anforderungen, die Unternehmen erfüllen müssen, wenn die Vorgaben der europäischen Richtlinie tatsächlich in Kraft treten werden und in nationales Recht umgesetzt worden sind.

Wir werden die Entwicklung weiter für Sie beobachten und Sie auf dem Laufenden halten. Wenn Sie zwischenzeitlich Fragen haben, spechen Sie uns gerne an!