28.05.2021 14:21 Alter: 3 yrs
Kategorie: Zoll
Von: Rechtsanwältin Almuth Barkam

Ist die Zeit reif für den Klimazoll?

Mit Superlativen wurde nicht gespart: Als „bahnbrechend“ und „historisch“ wurde er bezeichnet, der Beschluss, mit dem der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bestimmte Regelungen des Klimaschutzgesetzes für unvereinbar mit den Grundrechten der Beschwerdeführer erklärt hat (Beschluss vom 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18; 1 BvR 78/20; 1 BvR 96/20; 1 BvR 288/20).

Was ist so besonders an diesem Beschluss?

Das Besondere an dieser Entscheidung ist, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die grundrechtlich geschützten Freiheiten der Beschwerdeführer zukunftsgerichtet ausgelegt und einen Generationen-übergreifenden verfassungsrechtlichen Schutz der Freiheitsrechte anerkannt hat.

Schon diese sehr juristische Beschreibung lässt erkennen, wie hoch komplex die Materie ist, zu denen sich das BVerfG auf 110 Seiten erklärt hat. Um die Quintessenz der Entscheidung einmal mit einfachen Worten auszudrücken: Es wäre künftigen Generation gegenüber unfair, die vorhandenen CO2-Budgets bis 2030 dermaßen zu strapazieren, dass nach diesem Zeitraum kaum noch Spielräume für Emissionen verbleiben. Eine solche Entwicklung würde die künftigen Freiheitsrechte junger Menschen in unverhältnismäßiger Weise einschränken.

Worum geht es konkret?

Der Gesetzgeber hat in § 1 Satz 3 KSG den Zweck des Klimagesetzes definiert, der darin liegt, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um dieses Klimaschutzziel zu erreichen, sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 schrittweise um 55 % im Vergleich zu den Werten von 1990 gemindert werden.

Um dieses Temperaturziel erreichen zu können, das aus dem Pariser Klimaschutzübereinkommen resultiert, wurden vom Weltklimarat IPCC globale CO2-Restbudgets ermittelt, die auf nationale Restbudgets runtergebrochen wurden.

§ 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 legen die konkreten Jahresemissionsmengen für bestimmte Sektoren (Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges) für den Zeitraum bis zum Jahr 2030 fest.

Vor dem Hintergrund des verbleibenden nationalen Restbudgets würden jedoch diese bis 2030 vorgesehenen Emissionsmengen die nach 2030 noch möglichen Treibhausgasemissionen derart reduzieren, dass die Verpflichtung, Treibhausgase zu minimieren, einseitig in die Zukunft verlagert würde. Nach Auffassung des Gerichts verpflichte das Grundgesetz jedoch Generationen-übergreifend zu einer verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen. Die Grundrechte der Beschwerdeführer schützten diese vor einer solch einseitigen Verlagerung der Treibhausgasminderungslast in die Zukunft (Rn. 183).

Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folge, dass nicht einer Generation zugestanden werden darf, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen werde und deren Leben dadurch schwerwiegenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde (Rn. 192). Das Gericht macht zudem deutlich, dass es verfassungsrechtlich unerlässlich ist, weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend weit in die Zukunft hinein festzulegen (Rn. 253). Damit hat es dem Gesetzgeber die Hausaufgabe auferlegt, über 2031 hinaus darzulegen, wie Emissionen zu reduzieren sind.

Das BVerfG hat in genialer Art und Weise eine den Freiheitsrechten immanente Generationengerechtigkeit dargelegt und nebenbei deutlich gemacht, dass sich das Staatsziel Klimaschutz (Art. 20a GG) in einem Gebot zur Klimaneutralität konkretisiert – eben historisch.

Möglicherweise auch als historisch zu bezeichnen, in jedem Fall außergewöhnlich, ist die Geschwindigkeit, mit der die Bundesregierung auf den Beschluss des BVerfG reagiert und eine Novelle des Klimaschutzgesetzes beschlossen hat. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung (Stand 11.05.2021) finden Sie hier. Darin ist u.a. vorgesehen, dass statt der bislang vorgesehenen 55% Treibhausgasemissionen die Emissionen bis 2030 auf 65 % reduziert werden sollen, bis 2040 dann auf 88% und bis 2045 (bislang 2050) Klimaneutralität erreicht werden soll. Eine Übersicht über die geplanten Maßnahmen finden Sie auf der Seite der Bundesregierung sowie des Bundesumweltministeriums.  

Was hat das alles mit Zoll zu tun?

Die Reduzierung von Treibhausgasen ist eine globale Aufgabe, um die globale Erderwärmung aufhalten zu können. Das BVerfG hat in seinem Beschluss deutlich gemacht, dass der Staat das ihm in Art. 20a GG auferlegte Klimaschutzgebot nur in internationalem Zusammenwirken erfolgreich umsetzen kann. Zumindest auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung hierbei einen starken Verbündeten: Die EU hat sich verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen.

Der Bezug zum Zollrecht ergibt sich daraus, dass Klimaschutz für bestimmte Sektoren mit kohlenstoffintensiven Produkten teuer werden kann: Aktuell bekommen Branchen wie die Stahl- und Zementindustrie kostenlos CO2-Zertifikate zugeteilt, d.h., sie müssen für einen Teil ihrer Emissionen nichts an den Staat zahlen. Müssten solche Sektoren zum Erreichen der Klimaschutzziele für ihren CO2-Ausstoß ebenso viel zahlen wie andere europäische Unternehmen, bestünde die Gefahr, dass solche Unternehmen aus Kostengründen ins Ausland abwandern. Ein solches Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland wird auch als "Carbon Leakage" bezeichnet. Ein Import entsprechender Produkte wäre in der CO2-Bilanz wesentlich verheerender als bisher.

Um eine solche Abwanderung zu verhindern, wurde die Idee eines "CO2-Grenzausgleichsmechanismus" ins Spiel gebracht. Es handelt sich dabei um eine Abgabe in Form eines CO2-Preises auf Einfuhren von entsprechend CO2-intensiven Produkten aus Drittländern. Eine solche Abgabe wird deshalb gemeinhin auch als "Klimazoll" bezeichnet.

Die EU-Kommission hatte ein solches "CO2-Grenzausgleichssystem" bereits in ihrem europäischen Grünen Deal verankert, in dem sie darauf hinweist, dass eine solche Maßnahme so konzipiert sein muss, dass sie mit den Regeln der Welthandelsorganisation in Einklang steht (Punkt 2.1.1.).

Der Mechanismus eines CO2-Grenzausgleichssystems wurde nun auch im europäischen Klimagesetz festgeschrieben, auf das sich der Europäische Rat und das EU-Parlament im April 2021 vorläufig geeinigt haben und mit dem das Emissionsreduktionsziel für 2030 - mindestens 55 % gegenüber 1990 - rechtlich verankert werden soll (Pressemitteilung vom 05.05.2021). Der bisherige Vorschlag für ein europäisches Klimagesetz liegt bislang nur in englischer Sprache vor: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-8440-2021-INIT/en/pdf.

Im Erwägungsgrund 10b heißt es:

"The risk of carbon leakage remains in respect of those international partners that do not share the same standards of climate protection as the European Union. The Commission therefore intends to propose a carbon border adjustment mechanism for selected sectors, to reduce such risks in a way which is compatible with the rules of the World Trade Organization. Furthermore, it is important to maintain effective policy incentives in support of technological solutions and innovations enabling the transition to a competitive climate neutral EU economy, while providing investment certainty."

Die genaue Ausgestaltung eines solchen Mechanismus, den die Kommission vorschlagen wird, bleibt offen. Ob es tatsächlich zu einem "Klimazoll" für bestimmte Sektoren kommen wird, ist fraglich. Möglicherweise wird lediglich der Handel mit Emissionszertifikaten modifiziert. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass zusätzliche Abgaben in der globalen Handelswelt ein sensibles Thema sind und schnell zu Handelskonflikten führen können. Die EU-Kommission hat dies gesehen und deutlich gemacht, dass ein solches Vorgehen nur im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation stehen kann.

Fazit:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht, dass die Generationengerechtigkeit ein Umdenken erfordert und effektive Maßnahmen in Richtung Klimaneutralität notwendig macht. Warum also nicht ein Klimazoll?